Besuch bei Gulliver

Unter dem Rattern der Züge

Die Straße, an der die Obdachlosenstation  „Gulliver“ liegt, sieht bedrohlich aus. Sie liegt direkt hinter dem Bahnhof, unter einem der Brückenbögen, über die hunderte Züge rollen, kurz vor dem Rhein. Diese Gegend ist nicht sehr ansprechend, es sieht dort sehr verwahrlost aus, überall liegen Müll und Unmengen von Hundekot. Es stinkt.
Es ist dunkel. Kaum zu glauben, dass einige Menschen sich hier jeden Tag aufhalten. Doch tatsächlich haben sich schon vor „Gulliver“ drei Obdachlose wohnlich ein-gerichtet, soweit man das in dieser Gegend und hinter all den geparkten Autos von Bahnhofsbesuchern so nennen kann.

Das „Gulliver“, so versteckt es auch liegt, ist den circa zweitausend Obdachlosen in Köln nicht unbekannt. Zweihundert Gäste besuchen die Auffangstation täglich, vor allem bei Nässe und Kälte. Zwar kommen jeden Tag andere, doch ein paar nutzen „Gulliver“ als festen Zufluchtsort, denn Obdachlose finden in der Großstadt nur schwer einen Ort zum Aufwärmen. Doch die Leistungen, die das „Gulliver“ bietet, sind nicht umsonst. Für das Essen, die Waschmaschine oder die Badbenutzung müssen ein paar Cent gezahlt werden. Neben sauberen Sanitäranlagen wird den Obdachlosen noch eine Theke und Tische und Stühle geboten, an denen gegessen, gelesen und geschwatzt werden kann. Daneben gibt es noch Schlafplätze, eine Klei-derkammer, Internetzugang und die Möglichkeit, eine Postadresse zu erhalten. Dies ist enorm wichtig, wenn man z.B. Behördenbriefe erhalten möchte. Kurz gesagt: das Konzept von „Gulliver“ ist, dass Menschen an einen Ort kommen können, an dem sie sich wohlfühlen, und das nicht nur durch Sauberkeit und Gemütlichkeit, sondern auch noch durch eine regelmäßig wechselnde Kunstausstellung. Ein Obdachloser, der „Gulliver“ nutzen will, muss ein gewisses Maß an Sauberkeit mitbringen. Und doch: nicht jedem Obdachlosen gefällt das „Gulliver“.
In der Einrichtung herrscht absolutes Drogen- und Alkoholverbot, das gleiche gilt für die Anwendung von Gewalt.

Damit wir die Gäste nicht stören, hatte man uns gebeten, unseren Besuch in die Mit-tagspause zu legen, um in der Einrichtung selbst keinem Obdachlosen zu begegnen und das Ganze nicht zu einer Art Zoobesuch ausarten zu lassen.  Wir werden von einer sehr netten Dame begrüßt. Die Frau war früher, so erfahren wir, selbst obdachlos, hat sich dann aber bei „Gulliver“ beworben und einen Job bekommen. Die Orga-nisation möchte auch ein Sprungbrett für Obdachlose sein, um den Menschen wieder einen normalen Alltag mit Wohnung, Beruf und sozialen Kontakten zu ermöglichen. Der Arbeitseinstieg ist schwer, auch wenn manche Obdachlose früher schon einmal gearbeitet haben. Das regelmäßige, frühe Aufstehen, die strenge Einhaltung vieler Regeln und Pflichten, all das müssen viele erst wieder mühsam lernen.

Unser Interview führen wir mit einer Sozialarbeiterin und einem Sozialarbeiter. Sie erzählen uns, dass „Gulliver“ nicht nur durch Spenden von Firmen, der Kirche und anderen, sondern auch vom Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ) finanziert wird.

Wir sind froh, diesen Besuch gemacht zu haben, weil uns dadurch die Probleme und Bedürfnisse der Obdachlosen bewusst geworden sind. Auch weiterhin ist das „Gulliver“ auf Spenden angewiesen – nicht nur, um den laufenden Betrieb zu gewährleisten, sondern auch um den Traum von einem richtigen Obdachlosenhotel zu verwirklichen.


Klasse 8, Fachgruppe Evangelische Religion