Bertha Sander

von Julika Jacobs und Finja Seitz

Diese Arbeit handelt von der Biografie der jüdischen Innenarchitektin Bertha Sander, die eine ehemalige Schülerin der Königin-Luise-Schule war. Frau Sander war zu Zeiten der Weimarer Republik eine sehr geschätzte und auch erfolgreiche Architektin, die selbstständig zahlreiche und vielfältige Raumkonzepte entwickelte.

In der folgenden Arbeit werden wir unsere Forschungsergebnisse zu ihrer Familie, ihrer Karriere und ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten darlegen. Hierbei werden wir die Phasen vor und nach ihrer Flucht vergleichend analysieren, um so festzustellen, inwiefern die antisemitische Politik der Nationalsozialisten sich auf ihr Leben und auf ihren Beruf ausgewirkt hat.

Familienverhältnisse

Bertha Regina Sander war eine deutsch-jüdische Innenarchitektin aus Köln. Sie wurde am 7. März 1901 in Köln geboren und starb am 23. Juli 1990 in Bodiam bei Robertsbridge (East Sussex) in England.

Ihr Vater war der Rechtsanwalt und Justizrat Gustav Sander (1836-1929), der an der Universität Bonn studiert hatte, und ihre Mutter, die Cousine ihres Vaters, Klara Sander (geb.Loeser). Berthas Großeltern mütterlicherseits waren der Saarlouiser Kaufmann Gabriel Loeser (geb. 2.5.1833 in Dusemond; gest.1902 in Lüttich) und Bertha Meyer ( gest.1926).
Das Leben des Ehepaars wird als “interessant und kosmopolitisch” beschrieben, so arbeitete Gabriel Loeser vor seiner Eheschließung in Algerien, wo auch seine erste Tochter Pauline Loeser geboren wurde.

Auch über Berthas Urgroßeltern auf der mütterlichen Linie ist vieles bekannt. Ihr Urgroßvater Herr Götz Meyer (* 1811) und ihre Urgroßmutter Rosalie Meyer (geb. Hirsch) betrieben zusammen einen Manufakturladen in Koblenz. Berthas Mutter wurde am 1. Januar 1871 in Frankfurt am Main geboren und starb am 9. Juni 1958 in London. Am 14. Januar 1897 heiratete sie ihren Cousin Gustav Sander, den sie schon seit Kindertagen kannte, in der Lütticher Synagoge, in welcher ihr Vater im Vorstand war.
Am selben Tag wurde Gabriele Sander, das erste Kind des Ehepaars, geboren. Gabriele, die später als Musiklehrerin arbeitete, heiratete 1927 den Journalisten Walter Speyer und emigrierte später nach London, wo sie am 4. November 1969 verstarb.

Im darauffolgenden Jahr wurde Berthas Bruder Otto Sander am 6. Juli 1898 geboren. Er erkrankte jedoch 1917 an einer nicht genannten Krankheit und starb am 10. August 1924 in einer Klinik im Schwarzwald. Die Todesumstände lassen sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren, allerdings gibt es Hinweise auf eine psychische Erkrankung und einen Suizid.

Kindheit und Schullaufbahn

Bertha Sander wuchs in ihrer Kindheit weitgehend ohne finanzielle Probleme auf. Der erste Wohnort der Familie war zunächst ein angemietetes Wohnhaus in der Mohrenstraße der Kölner Altstadt. 1905 zog die Familie dann in ein Wohnhaus am Hildeboldplatz 26 in der Kölner Innenstadt und 1912, nach einer Beförderung des Vaters, in eine Villa in Lindenthal.

Postkarte vom Haus der Familie Sander in Köln-Lindenthal
Postkarte vom Haus der Familie Sander in Köln-Lindenthal
(Bildnachweis: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln N 617,34)

Als wichtige Bezugsperson auch im Hinblick auf ihren beruflichen Werdegang wird in verschiedenen Quellen Klara Sander, Bertha Sanders Mutter, bezeichnet. Frau Sander selbst war Herausgeberin der Zeitung “ Neue Frauenkleidung und Frauenkultur”, die den Reformbewegungen des deutschen Werkbunds nahestand. Jener war eine Vereinigung von Künstlern, Architekten und Intellektuellen in der Weimarer Republik.

Das Verhältnis zu ihrem Vater Gustav Sander wird allerdings oftmals als “distanziert” beschrieben, so fehlte Gustav Sander auch häufig auf Familienfotos und verstarb fernab der Familie bei einem Wanderurlaub.

Klara Sander arbeitete zusammen mit Else Wirminghaus (29.4.1867 - 13.8.1939), mit der sie zusammen auch zahlreiche Vorträge zum Beispiel auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 hielt. Sie lernte Else Wirminghaus zunächst durch Klavierstunden kennen, die Frau Wirminghaus Bertha und Gabriele gab, später entwickelte sich daraus die berufliche Zusammenarbeit. Der Sohn von Else Wirminghaus war Helmut Wirminghaus ( 8.8. 1891 - 27.5.1968), der ebenfalls musizierte, sich später jedoch für ein Architekturstudium entschied. Laut verschiedenen Quellen war dies möglicherweise auch Berthas Anlass, sich für die Architektur zu interessieren, da sie so im Alltag an diese Fachrichtung herangeführt wurde.

Bertha Sander 1914
Bertha Sander 1914
(Bildnachweis: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln N 617,28)


Bertha Sander, die bis 1917 auf die Höhere Töchterschule in der Sankt-Apern-Straße ging, wird als ”hochbegabte Schülerin” beschrieben. Ab 1914 besuchte sie neben dem regulären Unterricht auch die “Deutsche Werkbund Ausstellung Cöln”, wo sie zweimal wöchentlich zusätzlich zu ihrem Unterricht in der Schule Stunden an der “Kunstgewerbe- und Handwerksschule” hatte. Diese Schule wurde vom deutschen Architekten Emil Thormälen geleitet, die Kurse wurden von Phillip Häusler (1887-1966) gegeben, der ebenfalls Architekt und Kunstgewerbler war und enge Kontakte zum Ehepaar Wirminghaus besaß.

Von 1918 bis 1920 absolvierte Bertha Sander, nach ihrem Abschluss, eine Schreinerlehre beim Tischlermeister Heinrich Adam Nix und nahm zusätzlich Unterricht in Werkzeichnen an der “Kunstgewerbe - und Handwerksschule”. Nach dieser Lehre arbeitete sie zunächst im Atelier von Philip Häusler als Zeichnerin, nach einem Jahr wechselte sie jedoch in das neu erbaute Atelier des Innenarchitekten, Möbeldesigners und Karikaturisten Paul Bruno. In dieser Zeit betätigte sie sich zum ersten Mal aktiv als Innenarchitektin und war in verschiedene Projekte wie z.B. die Renovierung der Villa von Dr. Karl Grosse, ebenfalls ein Architekt, involviert.

1922 wurde sie jedoch wegen mangelnder Aufträge entlassen und nahm 1923 eine neue Stelle im Atelier von Paul Schultze-Naumburg an, der ein deutscher Architekt, Kunsttheoretiker, Maler und Publizist war. Von 1923 bis 1924 arbeitete sie als selbständige Coloristin und Zeichnerin in den sogenannten “Wiener Werkstätten”, wo sie sich vor allem mit Textildesign beschäftigte. Dort machte sie auch erste Bekanntschaften mit dem bekannten österreichischen Künstler Dagobert Peche.

Allgemein lässt sich festhalten, dass Bertha Sanders Karriere zur Zeit der Weimarer Republik florierte, so bezeichnete sie sich selbst als “die begabteste junge Innenarchitektin in Deutschland“.

Selbstständige Arbeit als Innenarchitektin

1924 richtete sie sich in Köln, in ihrem Elternhaus, ein Büro als selbstständige Innenarchitektin ein und unterrichtete nebenbei Schulklassen an der “Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Köln”, in der sie zu Beginn eine Vielzahl von Privataufträgen erhielt. Weiterhin schrieb sie in verschiedenen Fachzeitschriften über das von ihr verfolgte Konzept der “neuen Wohnkultur” und entwarf Inneneinrichtungen für diverse Bibliotheken, Kinderzimmer und Einpersonenwohnungen.


"Praktische Kindermöbel", entworfen 1925 von Bertha Sander
(Bildnachweis: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln N 617,56)

1927 erkrankte sie jedoch an Tuberkulose, wodurch sie für drei Jahre ihre Arbeit unterbrechen musste, um sich in verschiedenen Hospitälern außerhalb Kölns kurieren zu lassen. 1930 kehrte sie nach Köln zurück und schaffte es dank ihrer zahlreichen Kontakte, sich schnell wieder als Architektin zu etablieren. So entwarf sie 1934 die Kostüme für das Theaterstück “Wir bauen eine Stadt” von Paul Hindemith, welches im Chanukka-Monat im Haus der Bürgergesellschaft in Köln aufgeführt wurde.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 änderte sich jedoch ihre Situation. Schon zu Beginn des Jahres 1933 gab es von Seiten des Regimes eine Vielzahl von antisemitischen Propaganda-Aktionen, die sich auch nachhaltig auf Berthas Leben auswirkten. Besonders einschneidend war hier das 1934 verhängte Arbeitsverbot für Juden, das ihr untersagte, als Jüdin Aufträge von nicht-jüdischen Arbeitgebern anzunehmen.

Ihre kürzlich erst gestartete erfolgreiche Karriere wurde zunächst erschwert und später gänzlich beendet. 1934 konnte sie sich trotz einem Mangel an Aufträgen noch als Innenarchitektin halten, 1935 erhielt sie ihren letzten großen Auftrag mit der Renovierung des “Israelitischen Asyls für Kranke und Altersschwache” in der Ottostraße in Neuehrenfeld.

Bertha Sander war hier vor allem für die Neugestaltung der Zimmer für Privatpatienten zuständig. Leiter jenes Krankenhauses war Dr. Benjamin Auerbach (1855-1940), der eng mit der Familie Sander befreundet war. Das Krankenhaus nahm später eine bedeutende Rolle für die jüdische Bevölkerung Kölns ein, da ab 1938 eine offizielle Trennung zwischen deutschen und jüdischen Krankenhäusern zu bestehen hatte. Später folgte auch ein Verbot für jüdische Ärzte, in nicht-jüdischen Krankenhäusern zu praktizieren.

Fazit zum ersten Abschnitt ihres Lebens

Es wird deutlich, dass Bertha Sander, insbesondere zur Zeit der Weimarer Republik, eine sehr erfolgreiche Karriere als Innenarchitektin begonnen hat. Sie hat die Schule abgeschlossen, schnell mit vielen bekannten und international anerkannten Künstlern zusammengearbeitet und sich später mit ihrem eigenen Atelier selbstständig gemacht.

Diese Entwicklung lässt sich durchaus als beeindruckend bezeichnen und ist, insbesondere für eine Frau, in der damaligen Zeit höchst ungewöhnlich - vor allem im Beruf des Architekten, der auch in der heutigen Zeit stark männerdominiert ist. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Bertha Sanders Berufserfolge noch um einiges gestiegen wären, wenn es nicht mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten einen abrupten Einschnitt gegeben hätte.

Flucht 1936

Ab der Machtergreifung des NS-Regimes 1933 änderte sich das politische und soziale Klima in Deutschland. Antisemitische Einstellungen waren zwar in der Gesellschaft der Weimarer Republik nicht ungewöhnlich, doch unter dem NS-Regime wurden sie Teil des politischen Konzepts. Erste Anfänge sieht man hier in den ersten öffentlichen antisemitischen Ausgrenzungen der jüdischen Bevölkerung am 1. April 1933 oder dem Geschäftsboykott und der Entlassung jüdischer Beamter am 7. April. Auch in den Folgejahren grenzte das NS-Regime systematisch Juden immer weiter aus, was unter anderem zu dem Arbeitsverbot von Juden 1934 und den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 führte.

Diese Ausgrenzung hatte auch auf Berthas Leben und Karriere weitreichende Auswirkungen. So versuchte sie sich zunächst unter anderem durch die Herstellung von Kindermöbeln, Sprechzimmern und Häkelanleitungen für Mützen in ihrem Beruf und Leben über Wasser zu halten. Hierbei scheiterte sie allerdings und beschloss 1935 zusammen mit ihrer Mutter, auf Anraten eines befreundeten Behördenmitglieds, Deutschland zu verlassen. Beide beschlossen alleine zu fliehen, da Berthas Vater 1929 auf einem Wanderurlaub an einer Blutvergiftung verstorben war und zu Berthas Schwester Gabriele der Familienkontakt abgebrochen war. 1936 setzten beide ihren Plan in die Tat um. Klara Sander besuchte jedoch zunächst drei Monate ihre Schwester Pauline in Monaco, bevor sie Bertha nach London folgte.

Leben in England

Zu Beginn ihrer Zeit in England 1936 unterstützen Freunde der Familie Bertha und ihre Mutter. Ihre Karriere als erfolgreiche deutsche weibliche Architektin wieder aufzunehmen, schaffte Bertha jedoch nicht. So versuchte sie zwar durch das Schalten einer Anzeige auf Deutsch in England Aufträge zu bekommen,hatte jedoch keinen Erfolg.

Zudem war es 1936 deutschen Immigranten in England nur möglich zu arbeiten, wenn sie als “free lancer” eingestuft wurden oder auch dem Arbeitsverbot mit Einschränkungen folgten. Dies geschah aufgrund der hohen Migrationsrate und der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die englische Wirtschaft. Allgemein war England im 20. Jahrhundert als Immigrationsland bekannt. Bertha Sander bekam den Status eines “free lancers” und war von da an gezwungen, als Hilfsarbeiterin zu arbeiten. So arbeitete sie unter anderem im Bürodienst eines Hotels, als Buchhalterin, Buchbinderin oder auch als Verkäuferin in einem Blumenladen.

Mit ihrem letzten Kapital kauften Mutter und Tochter sich in einem Vorort von Hampstead ein kleines Haus, welches sie allerdings nach Kriegsbeginn beleihen mussten. In diesem Haus pflegte Bertha ihre kranke Mutter, war jedoch aufgrund der Krankheit ihrer Mutter und der schwierigen Arbeitsbedingungen als Ausländerin gezwungen, Hypotheken auf das Haus aufzunehmen. Dies führte dazu, dass beide ihre letzten Wertgegenstände verkaufen mussten, wie Bertha Sanders Biografie zu entnehmen ist.
Insgesamt pflegte Bertha ihre Mutter alleine und ohne die Unterstützung ihrer Schwester Gabriele, einzig eine Pflegekraft half Bertha, als die Erkrankung ihrer Mutter mit der Zeit immer schlimmer wurde. Obwohl Bertha im Grunde genommen immer mit ihrer Mutter zusammengelebt hatte, schien ihr Verhältnis vor allem in den letzten Lebensjahren Klaras oftmals von Unstimmigkeiten geprägt zu sein. So beschreibt ein Freund Berthas das Verhältnis zwischen den beiden in einem Brief als schwierig. Klara Sander war eine eher kaltherzige und kühle Persönlichkeit, wie aus einigen Briefen, die in Bertha Sanders Autobiografie veröffentlicht wurden, hervorgeht. So schien Berthas Mutter ein Leben lang eine bevormundenden Rolle gegenüber ihrer Tochter innegehabt zu haben. So ermahnte sie sie auch vor den Gesprächen, ruhig und leserlich zu orthographieren, obwohl Bertha zu diesem Zeitpunkt bereits 38 Jahre alt war.

Obgleich Bertha Sander ihren Beruf in England nie gänzlich ausüben konnte, wurde sie gebeten, einen Vortrag über ihre Situation im Zusammenhang mit den Restriktionen des NS-Regimes zu halten. Nach Kriegsende (um 1953/54) versuchte Bertha wohl, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen, jener wurde unterstützt durch einen Brief ihres langjährigen Freundes Philipp Häusler, in welchem jener beschreibt, dass sie vor ihrer Flucht bestens auf einen “Start zur Selbständigkeit … vorbereitet war” und dass nach ihrer Flucht “fast keiner der emigrierten Architekten Fuß fassen konnte”. Aus eben diesem Antrag auf Wiedergutmachung lässt sich schließen, dass Bertha Sander nach Kriegsende immer noch die Hoffnung auf einen Neustart ihrer Karriere hatte - dies trat jedoch trotz des Antrags nicht ein.

Ab 1960 freundete Bertha Sander sich mit ihrem Nachbarn Dr. Rudolf Hahn an. Mit jenem entwickelte sie eine immer enger werdende Freundschaft, die bis zu Berthas Tod 1990 erhalten blieb. Auch hielt sie während ihrer gesamten Zeit mit alten Freunden aus Deutschland den Kontakt. So kontaktierte sie zum Ende des Krieges der bekannte deutschen Künstler Joseph Fassbender (14.1.1903 - 5.1.1974), der zu dieser Zeit in britischer Kriegsgefangenschaft war. Ebenfalls existiert über Jahre ein Briefwechsel zwischen Bertha und ihrem ehemaligen Lehrer Philipp Häusler.

Bertha Sander, Passfoto von 1969
Bertha Sander, Passfoto von 1969
(Bildnachweis: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln N 617,104)

Allgemein charakterisierten Freunde später Bertha Sander immer als eine charmante Persönlichkeit, welche es verstand, Leute sowohl “anzuziehen als auch zurückzustoßen”. 1990 starb Bertha Sander dann in ärmlichen Verhältnissen lebend in einem Altenheim in Sussex. Ihre Werke befinden sich heutzutage vor allem im “Victoria and Albert Museum” in London, dem Archiv für “Art and Design” und im NS-Dokumentationszentrum Köln.

Fazit zum zweiten Teil ihres Lebens und Vergleich

Es lässt sich wohl klar herausheben, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht nur einen starken negativen Einfluss auf Bertha Sanders Leben, sondern auch auf ihre Karriere hatte.

Sie schaffte es in all den Jahren nicht, glücklich in England zu werden, so weigerte sie sich stets, wirklich Englisch zu lernen, und behauptete immer, dass sie dies nicht nötig hätte und lieber deutsch sprechen würde. Auf beruflicher Ebene lässt sich anführen, dass sich, während sie zuvor in Deutschland von vielen unterschiedlichen und interessanten Persönlichkeiten umgeben war, ihr Leben in England aber hauptsächlich um die Pflege ihrer Mutter drehte. Auch war sie nur in der Lage, in Hilfsjobs und später in der Kriegsproduktion zu arbeiten. Dies hatte zur Folge, dass ihr Kontakt zu deutschen intellektuellen Kreisen, in denen sie sich zuvor bewegt hatte, abbrach, wodurch auch ihre frühere gesellschaftlich hohe Position, die sie in Deutschland innegehabt hatte, mehr und mehr verringert wurde.

Abschließend lässt sich also behaupten, dass die Flucht nach England einen unwiderrufbaren Einschnitt in Bertha Sanders Leben darstellte. Dies ist besonders tragisch unter dem Gesichtspunkt, dass ihre damals ungewöhnlichen Erfolge als junge Innenarchitektin, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre, vermutlich noch stark gestiegen wären und sie so das Leben bekommen hätte, was sie sich immer gewünscht hatte.

Schlussbetrachtung

Die Erforschung der Biografie von Bertha Sander hat zahlreiche interessante Erkenntnisse über sie als Person, aber auch über die damaligen Umstände allgemein erbracht. So lässt ihre Biografie gut darauf schließen, was es benötigt, um als Frau in einem männerdominierten Job erfolgreich zu sein. Dies lässt sich auch auf die heutige Zeit übertragen, in der sowohl die Erziehung zu selbständigen und selbstbewussten Menschen eine Rolle spielt, als auch die Förderung und Erkennung von Talenten. Dies war Bertha Sander vor allem durch ihrer Mutter vergönnt, welche ihr Talent erkannte und auch die Mittel hatte, sie sowohl in ihrer Karriere als auch in ihrer geistigen Entwicklung unabhängig und kritisch zu erziehen. Dies ist auch heute noch in unserer Zeit bedeutsam, da das Elternhaus einen großen Einfluss auf die spätere Entwicklung eines Kindes nimmt.

Dass Berthas Karriere am Ende gescheitert ist, lässt sich also nicht Bertha oder Klara zum Vorwurf machen, sondern dem Nationalsozialismus, welcher einzig nach der Religion und „rassischen“ Zugehörigkeit Menschen beurteilte und als minderwertig bewertete. Bertha ist eines der besten Beispiele dafür, was ein Talent, welches unterstützt und gefördert wird, erreichen kann, aber auch dafür, wie wenig es bedarf, ein solches wieder zu zerstören. Die Auswirkungen des NS-Regimes auf die Familie Sander sind also daran erkennbar, was man ihnen durch die Machtergreifung an Zukunftschancen geraubt hatte. Bertha Sander fand nie wieder in ihren alten Beruf, den sie so liebte, zurück und starb am Ende alleine und verarmt in England. Abschließend kann man also zusammenfassen, dass Bertha Sanders Biografie, als die einer selbstständigen erfolgreichen Architektin im 20. Jahrhundert, sehr herausragend ist und definitiv mehr Beachtung verdient hätte.


Bertha Sander fasste selbst einmal ihr Situation so zusammen:

“In 1936 I had to flee Germany. I was the most gifted young Interior Designer in Germany. When I had to flee I was only able to take some work with me. I came to England in January 1936 and got only a permit to work free lance. I was not known here and had no money to start a Studio, my invalid mother came with me. I had to look after her until 1958. And the war came in 1939 and I had to do warwork”.

Quellen

Wolfram Hagspiel: “Köln und seine jüdischen Architekten”, J.P Bachem Verlag, Köln 2010;

Ulla Rogalski: “Ein ganzes Leben in einer Hutschachtel”, Martha Press, Hamburg 2014;

Wikipedia: Bertha Sander (https://de.wikipedia.org/wiki/Bertha_Sander, aufgerufen am: 5.12.19)

Danksagung

Ganz herzlich danken möchten wir den Mitarbeitern des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, insbesondere Frau B. Klarzyk und Herrn I. Basalamah, für ihre freundliche Unterstützung und die Bereitstellung der Fotografien.

Zurück