Doritta Sternschuß (verh. Gallet)

von Ben Burtz und Sophie Casagrande

Frühe Jahre, Schulzeit und Familiengeschichte

Doritta Sternschuß wurde am 16.8.1923 in Köln-Lindenthal geboren. Wir konnten über den Stammbaum von Familie Sternschuß die Namen von Dorittas Großeltern, Mendel Sternschuß, geboren am 18.9.1864, und Ethel Sternschuß (geb. Maymann) geboren am 25.11.1869, herausfinden. Am 21.2.1898 wurde ihr Sohn, Dorittas Vater, Max Sternschuß in Zaleszcyki in Galizien geboren. Sein Name war ursprünglich Maschulem, jedoch deutschte er diesen später vermutlich ein. Er heiratete 1922 Elsa Klee, welche 1898 in Saffig geboren worden war. Die gesamte Familie gehörte der jüdischen Religionsgemeinschaft an.

 

Die Eheleute Max und Elsa Sternschuß 1937

 

 
 

Max Sternschuß zog spätestens 1920 nach Köln. Ab diesem Zeitpunkt betrieb er mit seinem jüngeren Bruder Siegfried Sternschuß ein Herrenwäschegeschäft in der Maybachstraße. Sie beschäftigten in ihrer “Wiener Wäsche Fabrik” zwischen 20 und 50 Mitarbeiter. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt schloss das Geschäft aufgrund einer Krankheit von Siegfried Sternschuß. Max Sternschuß arbeite später als Generalvertreter in einer Bielefelder Wäschefabrik.

Auch lag uns als Quelle Dorittas Geburtsurkunde vor. Ausgestellt wurde die Urkunde am 21.8.1923. Fälschlicherweise nahmen wir aufgrund dessen an, dass dies auch das Geburtsdatum sei, jedoch lässt sich aus der Urkunde entnehmen, dass Doritta bereits am 16.08.1923 geboren wurde. Als Wohnort ist die Benesisstraße 2 in der Kölner Innenstadt angegeben. Dorittas Bruder Arno kam 1927 auf die Welt. Familie Sternschuß lebte nach Aussage von Bekannten in gutbürgerlichen Verhältnissen, so besaßen sie ein eigenes Auto und beschäftigten Hausangestellte und Kindermädchen. Es gibt auch verschiedene Meldeadressen der Familie, die letzte selbstgewählte ist in der Maybachstraße 40.

Dorittas Bruder Arno Sternschuss, geboren 1927, auf einem Bild von 1937 Doritta und Arno, 1932
Dorittas Bruder Arno Sternschuß,
geboren 1927, auf einem Bild von 1937
Doritta und Arno 1932

 

Doritta war ab Ostern 1934 Schülerin der KLS. Zu diesem Zeitpunkt war sie 10 Jahre alt. Noch bevor Doritta anfing, die KLS zu besuchen, wurden jüdische Schüler/innen benachteiligt. So wurde bereits ab dem 13.9.1933 die Rassenlehre in deutschen Schulen eingeführt. Mit dem Beschluss der Nürnberger Gesetze von 1935 ging an vielen Schulen Deutschlands die Entscheidung einher, auch die letzten jüdischen Schülerinnen der Schule zu verweisen. Bernhard Rust, in seiner Rolle als Reichsminister der Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung ein Hauptvertreter der nationalsozialistischen Erziehungspolitik, ermutigte zur Eröffnung jüdischer Schulen – um so die jüdischen Kinder aus „deutschen“ Schulen zu entfernen. 1937 befanden sich bereits 61 % der jüdischen Schüler/innen auf solchen Schulen. Doritta besuchte trotzdem auch nach 1935 noch die KLS, und zwar noch für mehrere Jahre. Man könnte vermuten, dass die Schulleitung das Ziel der Vertreibung jüdischer Schülerinnen nicht akribisch verfolgte – zumal noch bis 1935 auch jüdische Schülerinnen neu an der KLS aufgenommen wurden.

Es ist den alten Zeugnislisten zu entnehmen, dass Doritta in der Klasse IV b zusammen mit Eva Alsberg, Ellen Süskind und Elsie Berg war. Doritta muss eine gute Schülerin gewesen sein. So erzielte sie in der Klasse des Lehrers Schmidt Noten zwischen 1 und 3. Ihr Gesamterfolg wurde als “voll ausreichend” bezeichnet. Entgegen der Annahme, dass sich eine solche Beurteilung heutzutage im schlechteren Notenbereich bewegt, bezeugte diese Bezeichnung zu Dorittas Schulzeit noch eine gute Leistung. Bemerkungen bezüglich ihrer Person bestätigen, dass sie eine gute Schülerin gewesen ist, so steht eine einzige negative Bemerkung “schwerfällig” vielen positiven Bewertungen wie z.B.: “erfreulich”, “strebend” oder “pflichttreu” und weiteren gegenüber. Sie wurde versetzt.

Auch weiterhin scheint sie trotz der vielen Maßnahmen gegen jüdische Schülerinnen gute Leistungen erbracht zu haben. Aus den Zeugnislisten von 1937 geht hervor, dass Doritta auch hier in allen drei Trimestern wieder “voll ausreichende” Leistungen erbrachte. Unter dem neuen Lehrer Dr. Stieler erzielte sie hier Noten im Bereich von 2-3 und wurde ohne weitere Bemerkungen in die Obertertia versetzt, sie wird als “fleißig” und “eifrig” bezeichnet. Auch hier finden sich Beurteilungen zu Dorittas Person, die teilweise widersprüchlich klingen, was auf die verschiedenen subjektiven Beurteilungen der Lehrer, die teils auf Vorurteilen beruht haben können, zurückzuführen ist.

Sie besuchte die Schule mindestens bis Ostern 1938, da sie zu diesem Zeitpunkt in die Obertertia, die neunte Klasse, versetzt wurde. Sie musste die Schule, genau wie die anderen drei Mädchen, im Verlauf des Jahres 1938 verlassen, unklar ist jedoch, wann genau. Ihr Sohn Patrick Gallet sagte aus, dass sie die Schule schon Anfang 1938 aufgrund ihres “israelitischen” Glaubens verließ, jedoch macht es Sinn, dass Sie frühestens Ostern 1938, mit ihrer Versetzung in die neunte Klasse und spätestens mit dem “Erlass zum Schulunterricht an Juden” vom 15.11.1938, der den Schulbesuch jüdischer Kinder verbot, die Schule verließ. In der Gedenkstelle Jawne liegt kein Nachweis dafür vor, dass Doritta nach dem Verlassen der Königin-Luise-Schule noch wie andere jüdische Mitschülerinnen das jüdische Reformrealgymnasium besuchte.

Flucht und Leben im Krieg

Am 22.2.1939 floh Doritta Sternschuß mit einem vom “Commité d’Assistance aux Enfants juifs réfugiés (CAEJR)“ organisierten Kindertransport für Kinder aus dem gesamten deutschen Reich. Insgesamt wurden 112 Kinder, darunter neun aus Köln stammende, mit dem Transport nach Belgien gerettet, wo ihre erste und einzige Meldeadresse in Belgien Rue van Elewyck 30, Commune d´Ixelles lautete. Ihre Aufenthaltsgenehmigung wurde am 19.12.1939 bis zum 30.5.1940 verlängert. Nach einem Aufenthalt bei ihrer Cousine in Belgien reiste Doritta 1941 über Paris nach Bordeaux in Südfrankreich. Von dort aus konnte sie mithilfe eines Schmugglers in eine “freie Zone”, nach Marseille, kommen. Von dort wollte sie ein Schiff in Richtung USA nehmen, kam jedoch zu spät. Alle Schiffe, die Flüchtlinge nach Amerika transportierten, waren im Angesicht der deutschen Besatzung bereits abgefahren. Trotz der NS-Besatzung entschied sich Doritta während des Krieges in Marseille zu bleiben. Am 23.10.1942 wurde Doritta Sternschuß aus dem Melderegister unter der Adresse in Ixelles gestrichen.

Doritta im Alter von 18 Jahren, 1941
Doritta im Alter von 18 Jahren 1941


Dank der Tatsache, dass sie Deutsch, Englisch und Französisch sprach, arbeitete sie in Marseille untergetaucht als Sekretärin in einem Transportunternehmen. Es gelang ihr, gefälschte Papiere zu kaufen und zwei Wohnungen zu mieten, eine offizielle und eine geheime. So konnte sie glücklicherweise in einer vergleichsweise sicheren Position den Rest des Krieges überleben.

Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder Arno blieben zurück und wurden aus Köln deportiert. Am 27.07.1942 wurde die Familie aus dem Ghettohaus am Horst-Wessel-Platz, heute Rathenauplatz, welches sie seit Anfang der Vierziger Jahre beziehen mussten, ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurden sie getrennt. Die Mutter Elsa Sternschuß starb am 26.04.1943 in Theresienstadt. Am 28.10.1944 wurden Max Sternschuß und sein Sohn, Dorittas Bruder Arno, ins KZ Auschwitz deportiert. Max Sternschuß wurde dort unter unbekannten Umständen ermordet, Arno hingegen wurde später ins KZ Dachau verschleppt, wo er im Frühjahr 1945 ermordet wurde.

Leben nach dem Krieg

Im Jahr 1944 lernte Doritta Sternschuß Victor Gallet kennen, woraufhin sie ihn im Februar 1945 heiratete. Das Paar ließ sich endgültig in Marseille nieder. Er war von Beruf Techniker, Doritta Gallet blieb Sekretärin. An ihrem 29. Geburtstag, dem 16.08.1952, wurde ihr Sohn Patrick Gallet geboren. Er lebte bis 1972 bei ihr und zog schließlich aus, um in Nantes zu studieren, später fand er in der Pariser Region Arbeit. Patrick Gallet heiratete 1977 seine Frau Annie Gallet und sie bekamen zwei Kinder, Alexandre Gallet, geboren im Jahr 1980, und Caroline Gallet, geboren im Jahr 1984.

Doritta mit ihrem späteren Mann Victor Gallet, 1944
Doritta mit ihrem späteren Mann Victor Gallet 1944


Doritta mit ihrem Sohn Patrick Gallet, 1953Doritta mit ihrem Sohn Patrick Gallet 1953


Doritta im Kreis ihrer Familie, 1971
Doritta im Kreis ihrer Familie 1971


Am 30.1.1994 starb Dorittas Ehemann, Victor Gallet. Nach dem Tod ihres Mannes verbrachte Doritta Gallet jeden Sommer zwischen 1995 und 2003 einen Monat in den USA bei ihrer Cousine. Bis zum Ende ihres Lebens lebte sie in Marseille, oft besuchte sie ihre Familie in der Pariser Gegend. Am 25.8.2003 starb Doritta Gallet.

Doritta an ihrem 80. Geburtstag, 2003
Doritta an ihrem 80. Geburtstag 2003

 

Fazit

Der Fall von Doritta Sternschuß ist ein ganz besonderer, natürlich auch für uns, da sie zeitgleich in unserer Jahrgangsstufe hätte sein können. Doritta ist eine der wenigen nach 1935 als Volljüdin klassifizierten Schülerinnen, die nicht nur die Schule weiterhin besuchen konnten, sondern es auch schafften, der Deportation und einem sicheren Tod zu entgehen.
Ihr ganzes Leben wurde stark geprägt durch die Herrschaft der Nationalsozialisten. Bereits im Alter von 16 Jahren musste sie fliehen. Uns vorzustellen, wie es sein muss, seine Familie zurückzulassen und das eigene Land unfreiwillig zu verlassen, ist unmöglich. Besonders in ihrem Alter solch eine Verfolgung zu erleben erschien uns als ein besonders traumatisches Erlebnis. Weiterhin wurden ihre Eltern und ihr Bruder von den Nationalsozialisten ermordet. Der Tag ihrer Flucht war also das letzte Mal, dass sie ihre Familie sah. Folglich hat sie nicht nur ihre Heimat alleine verlassen müssen, sie musste ihr Leben lang ohne ihre Familie verbringen. Umso wichtiger ist es unserer Meinung nach, Biografien wie die von Doritta Sternschuß nicht nur zu erforschen, sondern auch zu würdigen, nicht nur weil alle Verfolgten und Geschädigten dies verdienen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sich rechte Parteien und Ideologien in Europa zunehmend ausbreiten. Erinnerungspolitisch die Arbeit niemals aufzugeben ist für uns extrem wichtig, so können wir ein Zeichen gegen Rechts und die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen setzen.

Danksagung

Bei der Erforschung von Dorittas Lebensgeschichte haben wir vielfältige Unterstützung erhalten. Wir danken den Mitarbeitern des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, insbesondere Frau Klarzyk, den Mitarbeitern des Gedenkortes Jawne, vor allem Herrn Stellmacher, sowie der Familie von Doritta Sternschuß in den USA.
Unser ganz besonderer Dank gilt Herrn Patrick Gallet, dem Sohn von Doritta und Victor Gallet. Er war nicht nur bereit, uns Informationen über seine Mutter bereitzustellen, sondern schickte uns auch viele Familienfotos und gab uns sein Einverständnis, dies alles zu verwenden.

Zurück