Die Aussicht auf Erfolg bei der Recherchearbeit zur ehemaligen KLS-Schülerin Ellen Süßkind stand von Anfang an unter schlechten Vorzeichen. Die einzige vorhandene Information aus dem NS-Dokummentationszentrum besagte, dass sie einmal die KLS besucht hatte und jüdischen Glaubens war. Weder Geburts- noch Sterbedatum sind überliefert und auch keine Informationen zu ihren Eltern und der gesamten Familie. Es war mir also von Anfang an klar, dass man in diesem Fall einen Glücksgriff brauchte, um doch noch etwas über Ellen Süßkinds Schicksal zu erfahren.
Ich startete meine Suche mit der Datenbank von Ancestry.de. Da sich unter ihrem vollständigen Namen keine Treffer fanden, probierte ich es mit zahlreichen Abwandlungen des Namens. Als ähnlich klingender Name wurde eine gewisse „Helene Süßkind“ vorgeschlagen. Jedoch wurde diese laut Ancestry bereits 1862 in Sachsen-Anhalt geboren und starb 1942 im KZ Theresienstadt. Zudem zeigte ein Eintrag in der Datenbank der Yad Vashem Gedenkseite, dass besagte Helene Süßkind zeit ihres Lebens in Magdeburg lebte. Es handelt sich also höchstwahrscheinlich nicht um die gesuchte Schülerin.
Eine weitere Person mit demselben Namen, Helene Süßkind, wurde laut ihrem Ancestry-Eintrag 1855 in Höxter geboren. Als Wohnsitz wird jedoch die Stadt Iserlohn angegeben, ihr weiterer Verbleib ist unbekannt. Da kein Hinweis auf Köln als Aufenthaltsort bei ihr hinweist und zudem ja der Name noch abweicht, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht die gesuchte Schülerin.
Zusätzlich zu diesen Personen fand ich auf Ancestry.de noch einige weitere Personen mit ähnlichen Nachnamen wie „Süßkind“ und dem Vornamen Ellen, welche aber allesamt nicht infrage kommen, da sie entweder erst nach der NS-Zeit geboren wurden oder ihr gesamtes Leben in den USA verbrachten. Auch ein zweiter, späterer Versuch auf Ancestry.de führte zu keinen neuen Informationen.
Selbst im Verzeichnis der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln war kein Eintrag zu Ellen Süßkind vorhanden. Jedoch stieß ich hier auf den Namen „Herbert Süßkind“, den ich ebenfalls in einer Deportationsliste aus dem Buch „6:00 Uhr ab Messe Köln-Deutz“ gefunden hatte. Laut der Liste der Opfer aus dem NS-Dokumentationszentrum wurde dieser 1934 in Köln geboren und starb 1942 im Vernichtungslager Kulmhof. In der Deportationsliste ist er allerdings als „Herbert J. Süsskind“ aufgeführt, jedoch ebenfalls mit dem Geburtsdatum 1934, weshalb es sich wahrscheinlich um dieselbe Person handelt. Der Verdacht, es würde sich eventuell um einen Verwandten von Ellen Süßkind handeln, ließ sich weder bestätigen noch widerlegen, da in allen anderen Datenbanken, die ich durchsuchte, keine passenden Einträge zu besagtem „Herbert Süßkind“ vorhanden waren.
In der eben erwähnten Deportationsliste aus Köln fanden sich noch insgesamt 7 Personen mit dem Nachnamen „Süsskind“, jedoch konnte ich, nachdem ich alle Namen in den Datenbanken überprüft hatte (Ancestry.de, NS-DOK, geni.com, Yad Vashem Database und holocaust.cz), keine Verbindung zu Ellen Süßkind herstellen.
Nach den Datenbanken recherchierte ich in den historischen Adressbüchern der Stadt Köln nach Ellen Süßkind bzw. möglichen Verwandten. Denn mit der größten Wahrscheinlichkeit wohnte sie als Schülerin der KLS auch in Köln. Zwar ergibt sich zum Beispiel aus dem Schuljahresbericht der KLS für das Schuljahr 1927/28, dass es auch "Fahrschülerinnen" oder sogar "Schülerinnen in Pension" gab, ihr Anteil lag jedoch zusammen bei nur etwa 8%, die allermeisten Schülerinnen wohnten also in Köln.
Ich konzentrierte mich vor allem auf die Adressbücher zwischen 1918 und 1933 und untersuchte stichprobenartig die Ausgaben vor dem Ersten Weltkrieg und nach der Machtergreifung 1933. In keinem der Adressbücher fand sich ein Eintrag zu „Ellen Süßkind“; dies war allerdings auch kaum zu erwarten, denn aufgeführt werden hier die gemeldeten Wohnungsinhaber, also die Väter oder Ehemänner als "Hausvorstand". Ich fand lediglich einige Einträge zu Personen desselben Nachnamens. Hierbei handelt es sich vor allem um Anwälte und Fabrikanten und deren Familien. Insgesamt ist der Name "Süßkind" nicht allzu häufig in Köln belegt; so finden sich beispielsweise im Adressbuch von 1930 nur fünf Männer dieses Namens. Einer von ihnen könnte Ellens Vater sein, bei allen könnte es sich durchaus um Verwandte handeln. Doch ohne weitere Informationen lässt sich kein sicherer Bezug zu Ellen Süßkind herstellen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass bereits im ersten Adressbuch des Jahrgangs 1933 keine Einträge mehr zum Namen „Süßkind“ vorhanden sind und auch nicht in den folgenden Jahrgängen. Es lässt sich also vermuten, dass die jüdischen Familien bereits früh emigrierten und/oder ihre Geschäfte aufgeben mussten.
Als ich mit meiner Recherche eigentlich schon fast abgeschlossen hatte, teilte mir Herr Erkelenz jedoch mit, dass sich auf Nachfrage beim NS-Dokumentationszentrum doch noch etwas über Ellen Süßkind hatte in Erfahrung bringen lassen. Ihr Name findet sich nämlich in einer Schulakte der KLS, und zwar in einer Zeugnisliste für den Jahrgang 1936/37, welche aus dem im Jahre 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchiv stammte. Diese Akte ist also das einzige Indiz, das auf die Existenz Ellen Süßkinds hinweist, aber bedauerlicherweise nicht mehr verfügbar ist.
Damit haben wir zwar immer noch keine genauen Lebensdaten, können Ellen jetzt aber etwas sicherer einordnen. Sie war also zumindest Anfang 1936 noch Schülerin der KLS; wenn es sich um die Zeugnisliste des 2. Halbjahres handelt, dann sogar noch Ostern 1937. Je nachdem, in welcher Klasse sie sich gerade befand, müsste sie zwischen den Jahren 1917 (wenn in der Oberprima) und 1926 (wenn in der Sexta) geboren sein. Wann genau und unter welchen Umständen sie auf die KLS kam, ob noch in der Weimarer Republik oder nach 1933, ist unbekannt (Siehe den Nachtrag unten).
Dass Ellen noch mindestens bis zum Jahr 1936 unsere Schule besuchte, ist aber in anderer Hinsicht ebenfalls noch überaus aufschlussreich. Während andere Schulen in Köln zu diesem Zeitpunkt bereits stolz bekundeten, „judenfrei“ zu sein, war es jüdischen Schülerinnen offensichtlich noch relativ lange möglich, die KLS zu besuchen. Die Tatsache, dass der Ausschluss der jüdischen Schülerinnen an der KLS nicht so konsequent und schnell wie an anderen Schulen umgesetzt wurde, könnte ein Indiz dafür sein, dass die Schulleitung keine überzeugte nationalsozialistische Schulpolitik betrieb, sondern bis an die Grenzen des Zugelassenen ging, um die jüdischen Schülerinnen an der Schule zu halten.
Nach dem aktuellen Stand der Quellen war es zwar nicht möglich, das Leben der jüdischen Schülerin Ellen Süßkind oder auch nur kleine Teile davon zu rekonstruieren, aber dennoch ist das Resultat meiner Meinung nach keine Enttäuschung. Dadurch, dass wir uns mit einem Opfer der NS-Zeit auseinandersetzen und versuchen, das Schicksal dieser Person zu rekonstruieren, verhindern wir, dass diese Person vergessen wird. Dies ist meiner Meinung nach ungemein wichtig, denn wenn wir ein Opfer vergessen, ist es gewissermaßen zweimal gestorben, da nicht nur der Mensch selbst, sondern auch die Erinnerung an ihn gestorben ist. Das Ziel der Nationalsozialisten, die völlige Auslöschung der jüdischen Bevölkerung, wäre durch das Vergessen der Opfer somit erreicht. Und genau deshalb halte ich unsere historische Arbeit für so wichtig, weil wir so dem Vergessen entgegenwirken können.