Am 30.01.1933 ernennt Reichspräsident Hindenburg einen neuen Reichskanzler, Adolf Hitler kommt an die Macht. Ab diesem Zeitpunkt ändert sich die Lebensrealität von Millionen Menschen maßgeblich. Die Weimarer Republik ist gescheitert, Hitler baut die Republik nach und nach zu einer totalitären nationalsozialistischen Diktatur um, dem Dritten Reich. Im Dritten Reich wird das wohl schrecklichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen, der Völkermord an ca. 6 Millionen europäischen Juden.
Elsbeth von Ameln musste die Judenverfolgung am eigenen Leibe miterleben. Was das für diese Menschen bedeutete, was sie fühlten, können wir uns heute nicht mehr wirklich vorstellen. Aber wir können und müssen uns bewusst machen, welches grausame Ausmaß der Holocaust annahm, wie viele Leben er zerstörte. Wir müssen sichergehen, dass solch ein Verbrechen nie wieder geschehen wird. Wir müssen uns mit den Geschichten seiner Opfer auseinandersetzen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
Elsbeth Pollitz erfährt erst am 07.04.1933 von ihrer jüdischen Herkunft. Durch einen Zufall findet sie heraus, dass sie entfernt mit Viktor Löwenwärter, einem angesehenen jüdischen Juristen aus Köln, verwandt ist. Viktor Löwenwärter ist das Enkelkind von Henriette Hamburg, einer Schwester von Elsbeths Großmutter väterlicherseits, Eugenie Pollitz (geb. Hamburg).
Elsbeths Vater, Oskar Pollitz, ist nach Definition der Nationalsozialisten „Volljude“. Elsbeths Mutter, Sophrine Reh, hat keinerlei jüdische Wurzeln, gilt allerdings aufgrund ihres jüdischen Ehemanns als „jüdisch versippt“und unterliegt auch den diskriminierenden Gesetzen der Nazis. Elsbeth Pollitz gilt nach Definition der Nazis als „Mischling 1. Grades“ oder auch „Halbjüdin“, somit unterliegt auch sie später der Judenverfolgung.
Als Elsbeth von ihrer jüdischen Herkunft erfährt, reagiert sie keineswegs aufgebracht oder verzweifelt, sie berichtet: „Eine nicht zu beschreibende Ruhe und Festigkeit überkamen mich“ (Köln Appellhofplatz, S.69). Elsbeth fühlt eine tiefe, innere Verbundenheit zu ihrem Vater, wird sich ihrer eigenen Identität bewusster.
Elsbeth ist nicht die einzige Person, die erst mit der Machtergreifung der Nazis von ihrer jüdischen Herkunft erfährt, vielen Kölner und deutschen Juden ging es ähnlich. Das zeigt einerseits, wie gut integriert und angepasst die jüdische Bevölkerung in Deutschland war, andererseits wie willkürlich und absurd die antisemitische Ideologie ist.
Einen Tag später, am 08.04.1933, bekommt Elsbeth einen Brief von Justizminister Hanns Kerrl, in dem ihr mitgeteilt wird, dass sie aus ihrem Beruf entlassen ist. Dies beruht auf dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.03.1933, welches unter anderem alle aus dem Justizdienst entlässt, die nicht den sogenannten „Ariernachweis“ erbringen können. Dieses Gesetz ist der erste gesetzliche antisemitische Akt der neuen Regierung. Er schadet Elsbeth maßgeblich, da er ihr den Beruf des Anwalts verbietet, in dem sie zuvor viel Erfüllung und Freude fand.
Elsbeth spricht mit Hermann über ihre jüdische Herkunft und sagt ihm, er solle ihr Verlöbnis als gelöst betrachten, sie wolle ihm keinen Schaden zufügen. Hermann, mittlerweile auch Anwalt, kann den „Ariernachweis“ erbringen.
Hermann von Ameln erwidert Elsbeth: Was immer durch Hitler auf sie zukommen würde, er gehöre zu ihr.
Die Familie rückt in diesen schweren Tagen aneinander, man kümmert sich umeinander, spürt eine starke Verbundenheit, oder wie Elsbeth schreibt: „Ich gehörte zu meinem Vater. Sein Schicksal war auch das meine“ (Köln Appellhofplatz, S.70).
Trotz der beruflichen Diskriminierung wird Elsbeth 1933 noch zum Assessorexamen zugelassen, sie belegt einige Kurse, besteht das Examen erfolgreich, denkt schon an mögliche Berufschancen nach dem Nationalsozialismus. Auch Hermann besteht am 20.09.1933 nach großen Anstrengungen sein Examen, eine Beamtenkarriere beispielsweise als Staatsanwalt steht für Hermann jedoch wegen seiner antinationalsozialistischen Gesinnung außer Frage.
Im Oktober 1933 entscheidet sich Elsbeths Verwandter Dr. Viktor Löwenwärter auszuwandern, er hat einige bedeutende rechtswissenschaftliche Werke publiziert, die allerdings aufgrund seiner jüdischen Herkunft kaum noch gekauft werden. Vor seiner Flucht nach Südamerika überträgt Dr. Löwenwärter die Urheberrechte seiner Bücher auf Hermann von Ameln. Somit findet Elsbeth ihre neue Beschäftigung darin, die Bücher von Löwenwärter in Hermanns Namen neu zu bearbeiten und zu publizieren. (Löwenwärter wird nach einigen Startschwierigkeiten Professor des Rechts an der Universität in Santiago)
Um Konflikte zu vermeiden entschließt sich Hermann, in Frankfurt und nicht in Köln zu arbeiten. Er kauft sich eine kleine Wohnung dort und macht ein Rechtsanwaltsbüro zentral in Frankfurt, Goethestraße 10, auf.
Über die Frankfurter Tageszeitung erfahren Elsbeth und Hermann, dass zukünftig Ehen zwischen „Ariern“ und „Halbjuden“ verboten werden sollen.
Eilig heiraten Elsbeth Pollitz und Hermann von Ameln am 17. Oktober 1933 ganz ohne Gäste oder Feier. Ihr Trauspruch lautet:
„Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten,
nimmer sich beugen, mutig sich zeigen“.
Die Eltern sind Trauzeugen. Die Verwandten aus Remscheid reagieren entrüstet und mit Unverständnis, besonders gegenüber Hermann, der nun als „jüdisch versippt“ gilt.
Elsbeth schreibt später über diese Zeit im Jahre 1933: „[Wir] waren doch trotz dunkler Gewitterwolken über uns glücklich, vielleicht bewusster als andere, weil wir uns unser Glück jeden Tag neu erkämpfen mussten“ (Köln Appellhofplatz, S.73).

(entnommen aus: Ameln, Elsbeth von: „Köln Appellhofplatz – Rückblick auf ein bewegtes Leben“; Wienand Verlag, Köln 1985)
Lange bleibt Hermann nicht in Frankfurt, Elsbeth und er möchten gerne zusammen leben. Am 01.12.1934 siedelt er nach Köln über. Er wird am Amts- und Landesgericht Köln als Anwalt zugelassen, sein Büro befindet sich am Zülpicher Platz 4. Nun wohnen Elsbeth, Hermann, Sophrine und Oskar zu viert in der Siebengebirgsallee. Am 15.09.1935 wird eines der übelsten Gesetze dieser Zeit verkündet, das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. In Folge dieses Gesetzes ist die Familie gezwungen, ihre seit 1928 beschäftigte Haushälterin Käthe zu entlassen. Die Begründung: „Ein arisches Mädchen unter 45 Jahren war bei meinem Vater, d. h. bei allen jüdischen Hausherren, sittlich gefährdet. Nur Hausangestellte über 45 Jahren durften in Haushaltungen mit einem jüdischen Haushaltungsvorstand beschäftigt werden“ (Köln Appellhofplatz, S.78). Den perfiden, zutiefst antisemitischen Subtext dieses Gesetzes sollte jeder bemerkt haben. Besonders die Entrechtung und auch Entmenschlichung der jüdischen Bevölkerung durch antisemitische Gesetze und Propaganda ist an diesem Fall deutlich zu erkennen. Ebenso wie der Aufbau eines Feindbildes, somit die Darstellung der Juden als Bedrohung für die restliche deutsche Bevölkerung. Beides waren maßgebliche Methoden der NS – Propaganda gegen die Juden.
Käthe versteht diesen Grund überhaupt nicht, sie hatte mit 16 Jahren schon angefangen, für die Familie zu arbeiten, und will ihren Arbeitsplatz unbedingt behalten. Die Familie versucht eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Für diese Genehmigung sollen alle Verwandten der Familie Oskar ein Leumundszeugnis erstellen, um seine Unschuld unter Beweis zu stellen. Dieses Zeugnis erstellen ihm auch alle Verwandten bis auf Richard Becker, Ehemann von Sophrine Pollitz' Schwester Alma Reh. Dieser entgegnet nur: „Gesetze würden erlassen, damit sie befolgt würden“ (Köln Appellhofplatz, S.79).
In Wahrheit hatte Richard Becker vermutlich Angst, selbst Probleme mit dem NS-Regime zu bekommen, wenn er seinen jüdischen Schwager unterstützt.
An diesem Vorfall kann man exemplarisch erkennen, wie wirkungsvoll die Einschüchterung durch die Gewaltherrschaft des Regimes war. Richard Becker war offensichtlich so eingeschüchtert, ängstlich um sein eigenes Wohl, dass er sich gegen seinen eigenen Schwager und damit auch gegen seine Schwester stellte. Juden wurden so durch indirekten Druck der Nazis immer mehr selbst in ihren eigenen Familien isoliert.
Letztendlich musste Familie Pollitz ihre Haushälterin entlassen.
Im Jahre 1936 zieht Familie Pollitz um, 28 Jahre haben sie in der Siebengebirgsallee, am Klettenbergpark, gewohnt. Sie bleiben in Klettenberg, ziehen in ein Einfamilienhaus in der Luxemburgerstraße 336. Das Haus ist geräumig, es ist mehr als genug Platz für alle vier, sogar Garten und Wintergarten besitzen sie - ein Anzeichen, dass die Familie auch 1936 noch ziemlich wohlhabend war.
Alle vier - Oskar, Sophrine, Elsbeth und Hermann - sind ab 1935 Mitglied im „Paulusbund“, einem Verein nichtarischer Christen, um sich zu organisieren, auszutauschen, zu unterstützen. Den Vorsitz in Köln hat seit 1933 Dr. Frankenstein, ehemals leitender Gynäkologe an einem Krankenhaus in Köln-Kalk (auch seine Tochter besucht die Königin-Luise-Schule, und zwar noch zu dieser Zeit).
Elsbeth von Ameln übernimmt zuerst 1935 die Vereinszeitung, dann 1936/37 nach und nach die Vereinsleitung für Köln, weil Dr. Frankenstein immer mehr erkrankt. Der Paulusbund ist in ganz Deutschland aktiv, man kommt einmal in der Woche in kleineren Grüppchen zusammen, tauscht Gedanken, finanzielle Nöte, Auswanderungspläne aus, versucht zu helfen und zu vermitteln, wo man kann. Im Paulusbund lernt die Familie viele Gleichgesinnte kennen, einige dieser Familien flüchten später, andere tauchen unter, viele werden einige Jahre später deportiert und kommen in den Konzentrationslagern im Osten ums Leben.
Ein neues Gesetz soll 1937 „Volljuden“ wie Oskar Pollitz aus Vereinen ausschließen. Der Paulusbund ruft eine Bundessitzung ein, die über das weitere Vorgehen beraten soll. Elsbeth soll bei dieser Bundessitzung das Rheinland vertreten, fährt dafür nach Berlin. Als jemand in der Bundessitzung dafür plädiert, man solle dem Willen der Regierung folgen, alle „Volljuden“ ausschließen und den Paulusbund zu einem „Mischlingsverein nichtarischer Christen“ machen, meldet sich Elsbeth von Ameln zu Wort. Sie erklärt fest entschlossen: „Einem Verein, der meinen Vater nicht duldet, kann auch ich nicht angehören“ (Köln Appellhofplatz, S.84) und tritt somit aus. Weitere Vereinsmitglieder folgen ihrem Beispiel, die Bundessitzung geht ohne Beschluss auseinander, der Paulusbund löst sich auf.
Kaum ist Elsbeth wieder in Köln, verbrennt sie alle Vereinsunterlagen und sieht zu, dass das restliche Geld aus der Vereinskasse an bedürftige Juden verteilt wird. Einen Tag später kommen Abgesandte der Polizei zu Elsbeth, um die Vereinskasse zu beschlagnahmen. Sie finden nichts, Elsbeth wird in das gefürchtete EL-DE Haus vorgeladen, Hauptsitz der Kölner Gestapo.
Angsterfüllt, eine Zyankali-Kapsel (Zyankali war damals ein beliebtes Mittel zum Suizid) dabei geht Elsbeth in das EL-DE Haus. Sie kommt glimpflich davon, doch der Schrecken und die letzten Worte des Beamten brennen sich in Elsbeths Erinnerung; „Hüten sie sich, hüten sie sich, sie haben einen arischen Mann“ (Köln Appellhofplatz, S.85). Ihrer Familie erzählt Elsbeth zu der Zeit dieser Vorfälle nichts, sie will diese nicht noch mehr belasten.
In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brennen in ganz Deutschland Synagogen nieder, organisierte Schlägertrupps ziehen durch die Straßen, zerstören jüdische Geschäfte, misshandeln, verhaften und töten skrupellos tausende von Juden. Die staatlich initiierte Gewalt gegen Juden erreicht in dieser Nacht ein nie zuvor da gewesenes Ausmaß an Grausamkeit.
Selbstverständlich geht auch dieser Tag nicht an Elsbeth vorbei. Sie erlebt auf dem Weg zur einer Bekannten, wie ein jüdisches Geschäft in der Kölner Innenstadt komplett kaputtgeschlagen wird, muss sich, in Todesangst, in einem Hauseingang verstecken. Oskar beobachtet auf dem Weg von seiner Firma in Zollstock nach Hause, wie ein jüdischer Mann aus dem Fenster geworfen wird und tot auf der Straße liegen bleibt. Der befreundete Rechtsanwalt Dr. Gatzer muss aus seiner Wohnung fliehen und kommt einige Zeit bei Familie Pollitz unter.
Mitte November 1938 bekommt Hermann Post von der Anwaltskammer. Die Gestapo hat Hermann von Ameln zuvor bei eben dieser Kammer angezeigt, weil er mit seinem jüdischen Schwiegervater in einem Haus wohnt. Die Anwaltskammer droht mit Berufsausschluss. Hermann reagiert sofort auf diese Anordnung und die Familie beschließt, sich räumlich voneinander zu trennen. Die Nazis reißen die Familie immer weiter auseinander, versuchen Juden immer mehr von ihren Mitmenschen zu isolieren.
Nach langer Wohnungssuche ziehen Hermann und Elsbeth von Ameln nach Braunsfeld in die Paulistraße 11. Die Eltern ziehen in eine kleine Zweizimmerwohnung in der Krementzstraße, Lindenthal.
Der Pauliplatz in Köln-Braunsfeld 1929
Am 31.03.1939 muss die jüdische Versicherung, bei der Oskar arbeitet, endgültig schließen. Oskar Pollitz ist 67 Jahre alt, arbeitslos, bekommt keinerlei staatliche Unterstützung, im Gegenteil, der Staat ruiniert seine Existenz und verfolgt ihn aufgrund seiner jüdischen Herkunft. „Es war eine unheilvolle, trübe Zeit“ (Köln Appellhofplatz, S.88) schreibt Elsbeth. Oskar bekommt eine Judenkennkarte und den obligatorischen Zunamen „Israel“, wie alle jüdischen Männer 1939.

(entnommen aus: Ameln, Elsbeth von: „Köln Appellhofplatz – Rückblick auf ein bewegtes Leben“; Wienand Verlag, Köln 1985)