Die Rolle, die Maximilian Samuel in Auschwitz spielte, erscheint besonders tragisch, aber auch in mehrfacher Hinsicht sehr problematisch, da die vorliegenden Informationen sich vielfach widersprechen und kaum Klarheit zu gewinnen ist. Sicher scheint nur Folgendes zu sein.

Dr. Maximilian Samuel
(http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11622901&ind=6)
Maximilian Samuel sei mit der Anweisung, ihn rücksichtsvoll zu behandeln, nach Auschwitz gekommen. Dies wurde auch umgesetzt, der mittlerweile ältere Herr blieb vor der Gaskammer verschont. In der ersten Zeit in Auschwitz soll Samuel als Häftlingsarzt in Buna tätig gewesen sein, ein KZ, spezialisiert auf die Zwangsarbeit von Inhaftierten. Wenig später soll Dr. Samuel dann, als renommierter Gynäkologe, ja geradezu als Koryphäe auf seinem Gebiet, in den berüchtigten Block 10, den Medizinblock, versetzt worden sein. Er betrieb dort mit anderen Ärzten im Auftrag der SS Menschenversuche an weiblichen Häftlingen, im Lagerjargon "Kaninchen" genannt, und zwar Sterilisationsexperimente sowie andere gynäkologische Versuchsoperationen, die nähere Informationen für die Früherkennung von Krebs und die Entstehung von Krankheiten geben sollten. Maximilian Samuel war vor allem für die Entfernung des Gebärmutterhalses eingeteilt. Die Operationen wurden unter menschenunwürdigen, grausamen Bedingungen durchgeführt: Die Frauen wurden oft nicht narkotisiert und bekamen meistens auch keine Schmerzmittel oder angemessene Versorgung nach dem Eingriff; zudem erscheinen viele diese Versuche nicht nur menschenunwürdig, sondern auch sinnlos gewesen zu sein. Besonders erschütternd erscheint in diesem Zusammenhang der Bericht einer Überlebenden, Renée Düring, auch wenn es nur eine Geschichte unter vielen ist. Sie stammte ebenfalls aus Köln und war zu diesem Zeitpunkt etwa im Alter seiner Töchter, als sie als menschliches Versuchskaninchen ebenfalls von Dr. Samuel "behandelt" wurde; im Zuge dieser Behandlung wurden ihre Eierstöcke zerstört, sie überlebte nur knapp. Sie erinnerte sich an Dr. Samuel und er sich an sie, denn 20 Jahre zuvor hatte er sie in Köln selbst auf die Welt gebracht, in einer schweren Geburt, bei der es um ihr Leben und das Leben ihrer Mutter ging.
Nun stellt sich natürlich sofort die Frage, wie ein Mensch in der Lage sein kann, einem anderen Menschen bewusst solche unerträglichen Schmerzen zuzufügen. Oder in Dr. Samuels Fall noch zugespitzter: Wie kann ein jüdischer Arzt anderen Häftlingen, die ebenso Opfer des Nationalsozialismus sind wie er, dieses Leid antun?
Die Deutungen über das Verhalten und die Motive von Dr. Samuel gehen in der Literatur weit auseinander oder stehen sich sogar diametral gegenüber. So wird er zum Beispiel in Robert Jay Liftons Werk „Ärzte im Dritten Reich“ als „jüdischer medizinischer Kollaborateur" bezeichnet. Lifton sieht als Motiv Samuels Familie. Seine Frau soll direkt bei der Ankunft in Auschwitz ermordet und seine 19 Jahre alte Tochter, gemeint ist hier Liese Lotte, ins Arbeitslager eingeteilt worden sein. Durch seine, von anderen Häftlingsärzten als sehr „eifrig“ bezeichnete, Zusammenarbeit habe er die Sicherheit seiner Tochter garantieren wollen. Dies soll er bis zu einem Ausmaß verfolgt haben, dass er einen Brief an SS-Führer Heinrich Himmler schrieb, in welchem er mit Verweis auf seinen Status als Frontkämpfer um das Leben seiner Tochter flehte. Noch schärfer urteilt Hermann Langbein in seinem Werk "Menschen in Auschwitz". Hier heißt es mit Berufung auf Zeitzeugenaussagen, er habe in extremer Form folgenden Typ verkörpert: "Gefangene, die sich trotz großer Intelligenz und Lebenserfahrung, trotz Wissens um die Auschwitzer Vernichtungsmaschinerie weigerten, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, und die irre Hoffnung nährten, sie könnten für sich eine Ausnahme erwirken." Zudem soll er andere Mithäftlinge bei der SS denunziert haben. In Hans-Joachim Langs Buch "Die Frauen von Block 10" schließlich findet sich noch die Behauptung, Samuel habe "bereits lange vor Auschwitz über die Früherkennung von Gebärmutterkrebs geforscht, sodass also mit der aktuellen Arbeit ein altes Interesse reaktiviert worden sei, und er habe deshalb die Versuchsreihen mit besonderem Engagement vorangetrieben".
Es finden sich aber auch ganz andere Sichtweisen, und auch sie berufen sich auf die Aussagen von Zeitzeugen. Demnach habe sich Dr. Samuel Mithäftlingen gegenüber freundlich benommen und habe mehrfach Frauen aktiv geholfen. Auch habe er Eingriffe übernommen, damit sie nicht von anderen, unfähigen Operateuren mit schlimmeren Folgen ausgeführt würden. Oder er habe seine "Aufträge" weniger weit ausgeführt, als er hätte sollen, und er habe damit manchen Frauen die Fähigkeit erhalten, noch Kinder bekommen zu können.
Die gleiche Widersprüchlichkeit rankt sich um den Tod von Dr. Samuel. Sicher ist nur, dass er wohl im Jahr 1943 erschossen worden ist, ohne dass jemals ein offizieller Grund angegeben wurde. Seine ehemaligen Kollegen unter den Häftlingsärzten gaben verschiedene Gründe an, doch sie waren sich einig, dass Dr. Samuel in den Augen der Nazis zu viel gewusst haben muss. Er war, so Lifton, zum „Geheimnisträger“ geworden.
Nach anderen Quellen soll Samuel ermordet worden sein, weil er Schein- oder Teiloperationen vornahm, während Renée Düring aussagt: Dr. Samuel sei, nach dem Fertigstellen seines medizinischen Buches über die Entstehung und Ausbreitung von Krebs, erschossen worden, damit seine Forschungsergebnisse unter dem Namen eines SS-Arztes veröffentlicht werden konnten. Möglich ist auch, dass ihm der Brief an Heinrich Himmler zum Verhängnis wurde. Oder vielleicht waren die Versuchsreihen einfach abgeschlossen und er hatte damit seinen Wert für die SS verloren.
Was nun auch immer die "Wahrheit" ist - Dr. Samuels Handeln im Konzentrationslager Auschwitz ist beispielhaft für die Rollenverteilung von „Opfer“ und „Täter“ - oder wie schwer sich die beiden Kategorien voneinander trennen lassen. In gewisser Weise vereint Samuel beide Rollen in sich als Häftlingsarzt: Er war natürlich als Jude Opfer des Nationalsozialismus und er hatte unter dem Regime gelitten, wie Millionen andere Menschen. Und dennoch führte er die Operationen und Versuche durch und vergrößerte somit das Leid der betroffenen Häftlinge. Aber greift es nicht doch zu kurz, Maximilian Samuel nur als Täter zu bezeichnen? Es ist schwer zu beurteilen, inwiefern er innerhalb des unmenschlichen Systems des Konzentrationslagers Auschwitz überhaupt „freiwillig" agieren konnte. Wurde Samuel von der SS gezwungen, unter Androhung von Folter und Tod? Hat er sich zur Durchführung der Operationen entschieden, weil sonst ein medizinisch unerfahrener anderer Häftling zu derselben Arbeit gezwungen worden wäre und Samuel somit die inhaftierten Patienten davor bewahren wollte, zusätzliche Schmerzen zu erleiden?
Zudem hatte er seine Ehefrau bereits verloren, er konnte nicht wissen, ob seine älteste Tochter es nach Großbritannien geschafft hatte, ob sie ihren Bruder gefunden hatte und wenn, ob seine beiden Kinder den Krieg überleben würden. Doch er wusste, dass seine zweite Tochter mit ihm an diesem furchtbaren Ort gefangen war. Wie könnte also ein Vater nicht alles opfern, jede Moral aufgeben, um seinem Kind eine noch so winzige Chance auf Überleben zu sichern?
Moralisch und ethisch kann sein Handeln durchaus als verwerflich gewertet werden, aber menschlich bleibt es nachvollziehbar. Wer ist man, dass man aus der sicheren Distanz über den Menschen urteilen und ihn verurteilen will?
Ebenso unmöglich ist es, sich vorstellen, was Hannah Liese gefühlt haben muss, als sie nach dem Krieg von dem Schicksal ihrer restlichen Familie erfuhr. Sie musste sich nicht nur mit dem Verlust von Eltern und Schwester befassen, sondern auch mit den schrecklichen Taten, die ihr eigener Vater im Block 10 begangen hat. Unabhängig davon, welche Variante von Maximilian Samuels Schicksal zutreffend ist, vielleicht gibt es auch noch eine unentdeckte andere Begründung für sein Handeln. Der Fakt, dass er als Häftlingsarzt fungiert hat, lässt sich nicht abstreiten. Sie muss nach Gründen und Rechtfertigungen gesucht haben, um den Glauben an den Vater nicht zu verlieren oder nur um den Ansatz einer Erklärung zu erhalten. Ob sich solche Taten überhaupt begründen, rechtfertigen oder erklären lassen, bleibt jedoch eine moralisch unlösbare Frage.