Regina Prins (geb. Rothschild)

von Paula von der Recke

In unserem Projektkurs an der Königin-Luise-Schule in Köln haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die Daten und Schicksale aller Schülerinnen und Lehrer und Lehrerinnen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind, zu recherchieren und damit an sie zu erinnern. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Schülerinnen, da unsere Schule seit ihrer Gründung 1871 bis in die 1970er Jahre eine reine Mädchenschule war.

Als mein Projektkurs im Januar 2018 begann, waren schon von den vorherigen Projektkursen einige Schicksale recherchiert und aufgearbeitet worden. Jedoch gab es immer noch eine Liste mit zahlreichen Namen ohne erforschte Geschichte. Die Namen waren uns bekannt durch Zeugnislisten aus der Zeit oder durch andere Aufzeichnungen und Erzählungen von Zeitzeugen. Es ist bei besagter Liste jedoch enorm wichtig zu beachten, dass es nicht sicher ist, wie vollständig diese ist und wie viele jüdische Schülerinnen es insgesamt auf der Königin-Luise-Schule gab. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Königin-Luise-Schule im Zweiten Weltkrieg zunächst die Gebäude wechselte: vom ursprünglichen Gebäude in das der Jawne, einer jüdischen Schule, deren Schüler zuvor deportiert und ermordet worden waren. Nachdem auch dieses Gebäude 1943 komplett zerstört war, brachte man die Schülerinnen, als Schutzmaßnahme vor dem Krieg, von Köln nach Bansin auf Usedom. Im März 1945 zog die Schule nach Holstein und im September nach Köln um. 1959 folgte der endgültige Umzug in das heutige Gebäude. Die zahlreiche Fluchten und Umzüge erklären den Mangel an vollständigen Zeugnislisten aus allen Jahrgängen. Die wenigen Dokumente, die Krieg und Umzüge überlebten, fielen schließlich dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln zum Opfer und schienen für uns zunächst dauerhaft verloren. Dadurch ist es, wie gesagt, bis heute nicht möglich zu sagen, wie viele jüdische Schülerinnen die KLS tatsächlich besuchten. Allerdings besteht auch immer die Möglichkeit, dass plötzlich neue, bisher unbekannte Informationen zu finden sind oder bereits bekannte wieder verfügbar werden.

Fokussieren wir uns aber zunächst auf die schon bekannten Namen. Nach einer Zuteilung der Namen fing die Recherche an: Die meisten von uns hatten nur einen Namen, ein Geburtsdatum und vielleicht noch das Jahr, in dem die Schülerin sicher auf der Schule war. Wie geht man damit um? Wo fängt man an? Was kann man überhaupt alles herausfinden, wenn doch nur so wenige Unterlagen vorhanden sind?

In meinem Fall ergab sich zudem noch eine weitere Schwierigkeit. Johannah Rothschild – so hieß die junge Frau, deren Leben und Schicksal ich erforschen durfte. Nach einigen Monaten der Recherche ergaben sich jedoch plötzlich ganz neue Erkenntnisse, die meine Arbeit unmittelbar betrafen. Einen Teil der Schulakten, die durch den Einsturz des Historischen Archivs verloren gegangen waren, hatte man inzwischen wiedergefunden, restauriert und uns wieder zugänglich gemacht. Aus ihnen ergab sich zum einen, dass Johannah Rothschild gar nicht Schülerin der KLS gewesen war (zu den Gründen siehe unten). Dafür fand sich der Name einer anderen jungen Frau, von der wir bisher gar nichts gewusst hatten: Regina Rothschild. In ihrem Fall war die Zugehörigkeit zur KLS von Anfang an gesichert, ihr Name legte nahe, dass auch sie jüdischer Herkunft war und daher zu den Opfern des NS-Regimes gehört haben könnte. Vielleicht waren beide Mädchen sogar miteinander verwandt? Diese ursprüngliche Vermutung stellte sich zwar schnell als falsch heraus, doch bestätigte sich, dass auch Regina Rothschild und ihre Familie zu den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus an der KLS gehörten.

Aus diesen Gründen werde ich im Folgenden die Geschichten beider Mädchen erzählen – denn keine darf vergessen werden.

Regina Prins, geb. Rothschild (* 12.08.1913, † 19.11.1943)

Regina Rothschild wurde am 12.08.1913 als drittes von vier Geschwistern geboren. Ihre Eltern Nathan Rothschild und Gertrude (geb. Falk) hatten insgesamt drei Töchter und einen Sohn: Malwine, geboren am 20. Mai 1910 , Gerson, geboren am 1. März 1912, Regina und Erna, geboren am 8. Juni 1915. Ihr Vater arbeitete in der von seinem Vater, Reginas Großvater Gerson, geleiteten Getreidefirma. Regina kam aus einer sehr großen Familie mit insgesamt 13 Onkeln und Tanten, 6 mütterlicherseits und 7 väterlicherseits.

Das nächste mir bekannte Ereignis in ihrem Leben ist, dass sie Ostern 1933 ihre Reifeprüfung an der Frauenoberschule der KLS ablegte. Regina hatte also die höhere Schule über die volle Zeit von 9 Jahren besucht, sie allerdings nicht mit dem „richtigen“ Abitur abgeschlossen, das den unbeschränkten Hochschulzugang ermöglichte. Die dreijährige Frauenoberschule war damals eine gerade für Mädchen übliche Alternative zur „gymnasialen Oberstufe“, vermittelte vor allem hauswirtschaftliche Fähigkeiten und ermöglichte eine Berufstätigkeit zum Beispiel als Kindergärtnerin oder Nadelarbeitslehrerin. Wann Regina auf die KLS kam, ist nicht bekannt – es könnte schon im Übergang von der Grundschule mit 10 Jahren erfolgt sein, also Ostern 1924, vielleicht aber auch erst zum Besuch der Frauenoberschule ab Ostern 1930.

Regina und ihre Familie wohnten bis 1939 zusammen in Köln, in der Spichernstraße 61. In dieser Zeit mussten sie alle Demütigungen und Entrechtungen ertragen, die das NS-Regime gegen die jüdischen Mitbürger richtete; auch die Reichspogromnacht werden sie in Köln erlebt haben.

1939 schließlich entschloss man sich zur Flucht. Ich habe nur Beweise dafür gefunden, dass Nathan Rotschild, ihr Vater, nach Brasilien geflohen ist. Es lässt sich vermuten, dass er mit seiner Frau Gertrude floh. Regina jedoch ging in die Niederlande und heiratete dort am 28. Mai 1941 in Bussum ihren Ehemann, den Kaufmann Maximilian Salomo Eduard Prins, und nahm seinen Namen an.

Maximilian Salomo Eduard Prins
Maximilian Salomo Eduard Prins


Bemerkenswert hierbei ist, dass die beiden Cousin und Cousine waren - Maximilians Mutter war Reginas Tante und damit eine Schwester ihres Vaters. Solche Heiraten im weiteren Familienkreis waren allerdings bei Familien mit ausgeprägter – aber nicht notwendigerweise orthodoxer - jüdischer Identität keine Seltenheit, wir finden dies auch zum Beispiel in den Familien von Thea van Ameringen oder Irmgard Weiler, zwei anderen jüdischen Schülerinnen der KLS.

Regina und Maximilian lebten nach ihrer Hochzeit in Amsterdam und bekamen am 8. Oktober 1942 ihre Tochter Ruth Selma Prins.



Geburtsanzeige von Ruth Selma PrinsGeburtsanzeige von Ruth Selma Prins


Bis zur deutschen Eroberung lebten die drei in Amsterdam. Die Machtübernahme der Deutschen in den Niederlanden begann 1940. Von da an bis zum letzten Transportzug 1944 brachten sie nach Schätzungen 102.000 der 140.000 Juden aus den Niederlanden in Konzentrationslagern um. So auch Regina, Maximilian und Ruth. Am 19. November 1943 wurde Regina mit ihrer Tochter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dies geschah wahrscheinlich noch am Tag der Ankunft, denn Mütter mit kleinen Kindern wurden direkt ermordet. Ihr Ehemann wurde am 31. März 1944 in Polen umgebracht. Ebenso wurden seine Eltern und sieben Geschwister, welche auch alle in den Niederlanden lebten, in verschiedene Konzentrationslager verschleppt und ermordet: sein Vater Eduard, seine Mutter Selma, seine Schwester Julia und deren Mann Ludwig starben in Sobibor, seine Schwester Martha in Auschwitz, ihr Mann Isaac wurde noch im Frühjahr 1945 im Außenlager Dornhau ermordet.

 

Selma Rothschild Julia Prins Ludwig Vomberg Martha Prins und Isaac Jacobson
Selma Rothschild Julia Prins Ludwig Vomberg

Martha Prins und Isaac Jacobson


Über Reginas Familie ist mir lediglich bekannt, dass sicher ihr Vater und eventuell noch weitere Familienmitglieder, wie bereits erwähnt, 1939 nach Brasilien auswanderten und dann 1953 nach London. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter wurden britische Staatsbürger. Nathan Rothschild verstarb im Alter von 78 Jahren in London.

Ich weiß nicht, ob es je zu einer Rückerstattung der ihm entwendeten Gelder und Besitztümer kam. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) meldete Reginas Vater Nathan Rothschild Anspruch auf Sonderabgaben. Er beklagte entzogene Vermögenswerte, entwendetes Silber und Schmuck (2800 g Silber, 2 Uhren, 3 Ketten und 1 Brillantring, Wert rund 2500,- Reichsmark), Judenvermögensabgaben (vom 15.12.1938: 20.600,- RM), Reichsfluchtsteuer (vom 30.1.1939: 88.726,- RM) und Auswanderungsabgaben vom Vermögen (2.818,- RM). Man kann sich das Ausmaß davon heute gar nicht mehr vorstellen. Einer Familie, die ein finanziell sicheres Leben durch die Generationen alte Familienfirma führt, wird alles weggenommen. Sie müssen fliehen und es wird ihnen fast unmöglich gemacht, im neuen Land ein neues Leben anzufangen, da sie finanziell ruiniert und vermutlich traumatisiert sind.

Die Familie Rothschild wurde durch den Nationalsozialismus in den finanziellen Ruin getrieben. Sie mussten ihr Zuhause und ihr aufgebautes Leben aufgeben und in verschiedene Länder fliehen. Viel gravierender ist jedoch, dass durch den Holocaust Teile der Familie ums Leben kamen: Regina, Maximilian und Ruth Selma Prins sowie die gesamte erweiterte Familie auf Maximilians Seite. Eine komplette junge Familie wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.

Ihre Eltern und Geschwister mussten mit dem Wissen darüber weiterleben. Reginas Schwester Malwine heiratete, bekam noch drei Kinder und verstarb im Alter von 88 Jahren 1998 in London. Sie lebte also, wie ihre Eltern, in England. Der Bruder Gerson Rothschild verstarb am 29. September 2002 in Sao Paolo in Brasilien. Er kam also vermutlich 1939 mit dem Vater nach Brasilien und blieb dann dort. Erna, die jüngste Schwester, starb am 28 Januar 2014 mit 98 Jahren an unbekanntem Ort. Auch weiß ich nicht, ob Erna oder Gerson noch Kinder bekamen. Reginas Mutter und ihre Geschwister überlebten also genau wie der Vater, jedoch auch mit dem Wissen, eine Tochter und Schwester und deren kleine Tochter verloren zu haben.

Die Familie hat Ruth vermutlich nie gesehen.

Johannah Rothschild (* 02.09.1922, † nach 1966)

Johannah Rothschild. So hieß die junge Frau, deren Leben und Schicksal ich zunächst erforschen wollte. Sie ist eine der Millionen unschuldiger Menschen, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind. Ihre Familie musste ihr Zuhause, ihre Freunde und gewohnte Umgebung zurücklassen und in einen anderen Kontinent umziehen, um dort ein neues Leben anfangen zu können. Die einzigen Informationen zu ihrer Person, welche ich durch ein Datenblatt aus dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln bekam, besagten, dass sie am 02.09.1922 geboren wurde, dass der Vater Geschäftsinhaber und Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg und dass die Familie jüdischen Glaubens war. Desweiteren war dem Dokument zu entnehmen, dass sie von 1933 bis 1937 in der Cornelimünsterstraße 14 in Köln wohnten. Mit Verweis auf eine Zeugnisliste konnte ich annehmen, dass Johannah Rothschild im Jahr 1933 die Königin-Luise-Schule besuchte.

Dies war mein Ausgangspunkt. In den folgenden Monaten versuchte ich möglichst viel über Johannah, ihre Familie und deren Geschichte zu erfahren. Johannah Rothschild wurde also am 02.09.1922 in Beuel geboren. Ihr Vater hieß Hans David Rothschild und wurde am 21. Juli 1895 in Bonn geboren. Über ihre Mutter konnte ich lediglich herausfinden, dass sie 1925, als Johannah drei Jahre alt war, verstarb. Hans Rothschild heiratete erneut. Seine zweite Ehefrau hieß Helene, auch genannt "Leni", Rothschild (geb. Strauss). Die beiden bekamen noch zwei Kinder: Anneliese Rothschild (* 5. Juli 1927) und Peter Emil Leopold Rothschild (* 7. März 1931). Da die ersten beiden Kinder von Hans Rothschild in Beuel und Bonn geboren wurden, lässt sich vermuten, dass er sowohl mit seiner ersten Ehefrau als auch mit Helene in der Nähe von Bonn und Beuel wohnte. Ab 1930 ist Hans Rothschild im Kölner Adressbuch in der Cornelimünsterstraße 14 gemeldet. Es war damals üblich, dass nur das männliche Familienoberhaupt im Adressbuch gemeldet war. Die Cornelimünsterstraße ist als bebaute und bewohnbare Straße erst seit 1926 gemeldet. Ab 1928 wurde angefangen, die rechte Seite der Straße zu bebauen, und ab 1930 auch die linke. Die Rothschilds waren laut Adressbuch in einem Neubau auf der rechten Straßenseite von 1930 bis 1937 gemeldet, immer mit Verweis auf die Firma "Aschkenazy & Edersheim". Aschkenazy & Edersheim war ein Metallgroßhandel. Eigentümer waren Hans Rothschild, Adolf Möding und Alfred Isaac. 1930 war die Firma noch am Hansaring 141 gemeldet, ab 1934 in der Werderstraße 1 und ab 1937 ohne Erwähnung von Hans Rothschild als Eigentümer. Über seine Firma gibt es 1938 noch einen eingetragenen Gewerbeertrag von 94.928 Reichsmark, jedoch wurde die gesamte Firma am 26.12.1938 offiziell abgemeldet. Zu der Ursache dafür komme ich später.

Aus Johannahs Leben ist erst wieder ein sicheres Ereignis für das Jahr 1933 bekannt, bei dem es sich um die besagte Zeugnisliste handelt, welche aussagt, dass sie zu dem Zeitpunkt in die Sexta, also die heutige 5. Klasse ging. Wäre ihre Schullaufbahn regulär verlaufen, hätte sie nach acht Jahren ihren Abschluss gemacht. Dies wäre 1941 gewesen. Dazu sollte es aber nie kommen (dazu später mehr).

Zu einem späteren Zeitpunkt in meiner Recherche musste ich aber feststellen, dass es sich bei der Zeugnisliste mit der Kennnummer HAStK Best. 579, Nr. 29 gar nicht um eine Liste von Schülerinnen der Königin-Luise-Schule, sondern um eine der heute nicht mehr existenten Schule der evangelischen Gemeinde in der Antoniterstraße handelt. Es besteht natürlich theoretisch die Möglichkeit, dass Johannah zu einem späteren Zeitpunkt auf die KLS wechselte, jedoch kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Diese Verwechslung ist einer irrtümlichen Zuordnung im Historischen Archiv der Stadt Köln geschuldet, die wiederum darauf beruht, dass diese Liste (die keinerlei Kennzeichnung trägt) wohl in den letzten Kriegswirren irgendwie unter die Akten geraten ist, die tatsächlich zur KLS gehörten. Durch den Einsturz des Historischen Archivs im Jahr 2009 war es uns nicht möglich, diese Liste früher einzusehen. Erst nach der Restaurierung im Jahr 2018 ergab dann auch unsere Autopsie, dass es sich tatsächlich um ein Dokument der Schule Antoniterstraße handeln muss. Da es aber die Antoniterschule nicht mehr gibt und jedes Opfer des Nationalsozialismus es verdient hat, dass seine Geschichte berichtet wird, werde ich Johannah Rothschilds Geschichte weitertragen.

Die Familie war also bis 1937 in der Cornelimünsterstraße gemeldet und floh dann am 29.01.1937 nach London, England. Dies ist der Akte von Hans Rothschild beim BADV (Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen) zu entnehmen. Im September 1937 wurde das Vermögen der Firma durch die Gestapo gepfändet aufgrund eines Urteiles des Reichsfinanzhofes, welcher eine rückständige Einkommenssteuer beklagte. Dies war eine übliche Vorgehensweise für die Gestapo: Auf Grundlage von Erlassen, welche wiederum auf antisemitischen Gesetzen basierten, Beraubungen und gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden durchzuführen. Obendrein fragt man sich, ob hier alles mit rechten Dingen zuging, also wenigstens zum damaligen Zeitpunkt gesetzeskonform, so rassistisch und antisemitisch die Gesetze auch waren – oder ob es sich um eine fingierte Beschuldigung handelte. Zumindest sprachen die Ermittlungsbehörden nach 1945 von einer Steuerforderung „in großer Höhe“, der ermittelnde Beamte „verstand es nicht“. Interessanterweise wurde als Zeuge ein Regierungsdirektor im Finanzministerium vernommen, der „damals als Ermittlungsbeamter mit dem Devisenstrafverfahren befasst“ gewesen war – allerdings „wusste er davon nichts (mehr)“.

Hans Rothschild berichtet in dem 1962 von ihm ausgefüllten Bogen noch von weiteren ihm entzogenen Werten und entwendeten Gegenständen. So ging es um die Bankguthaben der Firma sowie deren Einrichtung, zudem um private Vermögenswerte, z.B. eine Lebensversicherung.

Nach Aussage von Hans Rothschild war die Ausreise „auf plötzlichen Entschluss hin“ erfolgt, also wohl ziemlich überhastet, wodurch auch immer ausgelöst. Dabei wurden „Haus und Inhalt hinterlassen, wie wir gingen“. Den Inhalt der Wohnung wollte man sich nachschicken lassen – ein Jahr nach Auswanderung kamen die Sachen auch tatsächlich in London an, allerdings erst, als Hans Rothschild eine Zahlung von 500 £ geleistet hatte, nach damaligem Wechselkurs etwa 6000 Reichsmark. Außerdem fehlte das Familiensilber, das die Ehefrauen mit in die Ehe gebracht hatten, vermutlich Schmuck oder Tafelsilber; ob diese Gegenstände von den deutschen Behörden konfisziert, von der Spedition unterschlagen oder auf andere Weise gestohlen worden waren, ist unbekannt. Zu guter Letzt verlor Hans Rothschild auch noch sein Radio – dies wurde ihm aber erst in England abgenommen als „feindlichem Ausländer“.

Dies ist ein Zeugnis dafür, welche Ausmaße die wirtschaftliche Ausplünderung der jüdischen Familien haben konnte, die das Regime zur Flucht getrieben hatte. Es ist aber auch ein Zeugnis für die traurigen Vorgänge, die mit den Rückerstattungs- oder Wiedergutmachungsprozessen nach 1945 verbunden sind.

Dem Datenbankauszug aus der Akte von Hans Rothschild ist zu entnehmen, dass er noch während der gerichtlichen Auseinandersetzungen im Rahmen des Rückerstattungsverfahrens verstarb, und zwar vor dem 17.5.1965. Ab diesem Zeitpunkt sind nur noch seine Ehefrau und Kinder als Erben angegeben. Von all den Werten, die der Familie geraubt wurden, scheint es nur zu einer Rückerstattung der 500 Pfund gekommen zu sein, welche für die Überbringung der Besitztümer von Köln nach London gezahlt werden mussten. Das Geschäftskonto „ließ sich nicht ermitteln“, für das Silber gab es „keine Nachweise“, zudem hatte die Familie „keine Nachforschungen vor Kriegsausbruch“ angestellt, in der Spedition konnte man sich ebenfalls an nichts erinnern.

Bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten solcher Verfahren in der Nachkriegszeit, gerade auch angesichts des Fehlens von Nachweisen – es bleibt doch ein überaus schaler Beigeschmack, vor allem auch wegen mancher Verfahrensumstände und Urteilsbegründungen.

Nach der Flucht nach London am 29.01.1937 blieb die Familie dort eine unbestimmte Zeit, um später nach Ecuador zu ziehen und dort in der Hauptstadt Quito zu leben. Laut dem Eintrag in der Akte des BADV lebte die Familie zum Zeitpunkt des letzten Eintrags 1966 bis auf den bis dato verstorbenen Hans Rothschild noch dort.

Johannah muss irgendwann vor 1966 einen Herrn Engel geheiratet haben, da sie im letzten Eintrag so genannt wird. Auch wird sie nur noch "Hannah" genannt. Zu Hannah Engel lässt sich das nächste Mal etwas aus dem Jahr 1959 finden: ein Passagiereintrag, auf welchem sie als Nationalität "ecuadorian" angibt. Dies bedeutet, dass die Familie sicher zwischen 1937 und 1959 von London nach Quito weiterreiste und dort die ecuadorianische Staatsbürgerschaft beantragte und bewilligt bekam. Dem Passagiereintrag vom 19. Februar 1959 ist auch zu entnehmen, dass sie dauerhaft in Quito lebte. Ihr Reiseziel war das "TAFT HOTEL" in New York. Es handelt sich bei dem Passagiereintrag also um eine Visa-Auskunft für die Vereinigten Staaten von Amerika. Eine weitere Visa-Auskunft für die USA stammt vom 04. September 1962. Dieses Mal war ihr Reiseziel das "NORMAN HOTEL" in Miami Beach, Florida. Zu diesem Zeitpunkt war Hannah Engel 40 Jahre alt. Beide Reisen gingen von Ecuador in die Vereinigten Staaten. Der Anlass ist mir unbekannt, jedoch deutet die Tatsache, dass sie es sich erlauben konnte zu reisen, darauf hin, dass die Familie wieder arbeitete und Geld verdiente.

Mir war es nicht möglich herauszufinden, wie alt Hannah Engel (geb. Rothschild) wurde oder ob sie vielleicht sogar heute noch lebt. Ihre Familie hat den Holocaust überlebt. Trotzdem mussten sie große Opfer bringen. Ihnen wurde das durch die Firma erarbeitete Vermögen weggenommen, sie wurden ihrer Besitztümer beraubt und mussten mehrfach fliehen. Zum Zeitpunkt der ersten Flucht von Köln nach London war Johannah gerade einmal vierzehn Jahre alt, ihre beiden Halbgeschwister erst neun und sechs Jahre alt. Die fünfköpfige Familie wurde vor der übereilten Flucht ihres Vermögens und des Hauses sowie während der Flucht sogar noch weiterer Besitztümer beraubt.

Der Fall der Familie Rothschild zeigt auch, dass selbst die Familien der Männer, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben für ihr Land riskiert hatten, nicht vor dem systematischen, antisemitischen und skrupellosen Vorgehen des nationalsozialistischen Regimes geschützt waren.

Schlusswort

Mir ist es persönlich wichtig, zu betonen, dass ich in keinster Weise versuche, zwei Schicksale miteinander zu vergleichen. Bei beiden Fällen fühle ich mich geehrt, ihre Lebensgeschichten festzuhalten.

Sie beide verdienen das. Jedes Opfer verdient das.

Die beiden haben komplett unterschiedliche Lebenssituationen, sind in unterschiedlichen Jahrzehnten geboren und sind ganz grundlegend andere Menschen. Deshalb müssen sie auch unabhängig voneinander betrachtet werden. Sie dürfen beide nicht in Vergessenheit geraten.

Zurzeit habe ich Kontakt zu mehreren Hinterbliebenen aufgenommen und hoffe, durch sie mehr zu erfahren und ihre Erlaubnis zu erhalten, die Geschichten von sowohl Regina als auch Johannah zu veröffentlichen und zu ihrem Gedenken einen Stolperstein verlegen zu lassen.

Zurück