Die jüdischen Kinder auf dem Schulhof nebenan

Die Verbindung des ehemaligen jüdischen Realgymnasiums Jawne zur Königin-Luise-Schule

Jawne (links) und Synagoge (rechts)

Der Geschichte Zusatzkurs hat sich in den vergangenen Monaten mit der Geschichte des ehemaligen jüdischen Realgymnasiums Jawne an der St.-Apern-Straße befasst. Viele Schülerinnen und Schüler an der KLS kommen häufig in Kontakt mit der jüdischen Geschichte, ob im Geschichtsunterricht, bei Schulprojekten oder in der Freizeit. Wenn unsere Schülerinnen und Schüler nun den Haupteingang des Neubaus an der Alten Wallgasse unserer Schule betreten, treffen sie auf Stolpersteine, die auch die besondere Verbindung der KLS zu den ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Jawne zeigen. Auch wird die wichtige Aufgabe unserer Schule, an die Opfer der vom NS-Regime begangenen Taten zu erinnern, deutlich.

Einige Schülerinnen der ehemaligen „Städtischen Höheren Töchterschule St. Apern-Straße“, die heute Königin-Luise-Schule heißt und ein Städtisches Gymnasium ist, waren Jüdinnen und wurden mit ca. 1100 anderen Kindern und Jugendlichen aus dem Kölner Raum deportiert und grausam ermordet.

Dieser Artikel soll nicht von unserer Schule handeln, sondern vom einzigen jüdischen Gymnasium seiner Zeit im Rheinland – der Jawne.

 

Modellnachbau des Geländes der jüdischen Gemeinde Adass Jeschurun

Die Jawne wurde 1919 eröffnet und war Teil einer orthodoxen jüdischen Gemeinde, der „Adass Jeschurun“ in der St. Apern-Straße. Die Jawne befand sich in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen und auch zum heutigen Gebäude der KLS. Der Gebäudekomplex, der eine Synagoge, ein Gemeindehaus und eben die Jawne umfasste, befand sich ungefähr an der Stelle, an der sich heute das Pullman Hotel befindet. Das Modell der Jawne, welches im Bild zu sehen ist, haben Arie und Michael (Q2) angefertigt. Da sich die Straßenführung seitdem sehr verändert hat (Geocaching), befand sich das Gebäude also eher dort, wo sich heute die Helenenstraße befindet. Etwas genauer gesagt, war der Schulhof dort zu finden, wo der Löwenbrunnen zur Erinnerung an die Jawne zu finden ist. Dort wird auch der schon vorher erwähnten ca. 1100 deportierten Kinder und Jugendlichen gedacht. Ihre Namen sind an die äußeren Wände des Brunnens auf Bronzetafeln geschrieben.

Nach der Gründung der Jawne 1919 bekam die Schule bis 1937 immer mehr Zuwachs. Mit den Gesetzen zur Trennung von jüdischen Schülerinnen und Schülern von staatlichen Schulen, das von den Nationalsozialisten „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ genannt wurde, mussten die jüdischen Schülerinnen und Schüler ihre Schulen verlassen. Da sie zunächst noch auf jüdische Schulen gehen durften, kamen viele von ihnen an die Jawne. Von 149 Schülerinnen und Schülern im Jahre 1929 stieg die Zahl also auf 423 im Jahre 1937.

Löwenbrunnen auf dem Erich-Klibansky

Ein weiterer Punkt, der die KLS und Jawne verbindet, ist, dass die KLS nach der Schließung der Jawne deren Gebäude mitbenutzte, bis es im 2. Weltkrieg durch Bombenangriffe zerstört, bzw. beschädigt wurde. Die Königin-Luise-Schule ist also in vielerlei Hinsicht mit der Jawne verbunden. So kamen auch einige Schülerinnen der ehemaligen höheren Mädchenschule, der Königin-Luise-Schule, auf die Jawne. Diese Schülerinnen geben der Situation für uns ein Gesicht und zeigen die Rolle der Jawne für Kölner Juden. Die Jawne ermöglichte ihnen weiterhin die Schule zu besuchen, obwohl es für sie alle zu diesem Zeitpunkt schon völlig aussichtslos war, eine Berufsausbildung oder ein Studium anzutreten. Auch war die Jawne nicht nur eine Schule, sie bot den jüdischen Kindern einen sicheren Raum, in dem sie Geborgenheit fanden und den Tag über wenig von dem mitbekamen, was in der Welt vor sich ging. Durch die Gesellschaft von Menschen des gleichen Schicksals war es für jene, die überhaupt schon realisieren konnten, was die Nationalsozialisten planten, über den Tag hinweg möglich, die Grausamkeit der Situation zu vergessen.

Eine wichtige Person in der Geschichte der Jawne ist Dr. Erich Klibansky.

Dr. Erich Klibansky (Yad Vashem)

Er war von 1929 bis zu ihrer Schließung 1941 der Schulleiter der Jawne. Klibansky war ein vorrausschauender Mann, der schon kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und Adolf Hitler ahnte, dass es um die Zukunft der deutschen Juden und insbesondere seiner Schüler nicht gut stehen wird, sodass er in seinen Klassen vermehrt Englisch und Hebräisch lehren ließ. Sein Ziel war es, später alle Kinder nach England oder in andere Länder abzutransportieren, um sie vor der Deportation zu retten. So schickte er im November 1938 ein Rundschreiben an die Eltern seiner Schülerinnen und Schüler, dem eine Verpflichtungserklärung für die Kindertransporte beilag. Am 8. Dezember 1938 hatten 295 Eltern diese Erklärung bereits unterschrieben.  Etwa 130 Schülerinnen und Schüler der Jawne wurden so durch vier Kindertransporte der Jawne gerettet. Die Aufnahmeprogramme führten sie zum Großteil nach Großbritannien, aber auch nach Belgien, in die Niederlande oder nach Schweden, wo die jüdischen Kinder ohne ihre Eltern oder andere Verwandte, aber meistens in Gruppen bzw. ihren Klassenverbänden abtransportiert und in Sicherheit gebracht wurden. Die erste Gruppe bestand aus etwa 30 Kindern der Unterstufe, die nach London abtransportiert wurden und dort ein Hostel bezogen. Darauf folgten weitere Gruppen, von denen auch eine durch Klibansky selbst nach Liverpool begleitet wurde. Gegen den Rat sämtlicher Bekannter, Freunde und Kollegen kehrte Klibansky jedoch nach Köln zurück und verblieb nicht in Sicherheit, was ihm schlussendlich auch zum Verhängnis werden sollte. Da Klibansky sich nicht damit zufrieden gab, viele Schülerinnen und Schüler gerettet zu haben, sondern er alle retten wollte, kehrte er immer wieder nach Deutschland zurück. Der letzte Kindertransport mit Schülerinnen und Schülern der Jawne führte im Juli 1939 nach Manchester. Klibansky und seine Familie wurden schließlich am 20.07.1942 zusammen mit vielen anderen Kölner Juden vom Bahnhof Köln-Deutz in Richtung des Minsker Konzentrationslagers deportiert und im Wald von Trostenez in einer Hütte durch ein SS-Erschießungskommando erschossen. Sein Schicksal ist grausam, jedoch war es sein Verdienst, dass etwa 130 seiner Schülerinnen und Schüler seinem Schicksal entfliehen konnten. Viele von ihnen lebten ein Leben fern vom Nationalsozialismus z.B. in den USA oder Großbritannien. Aufgrund dessen ist er vielen als Held in Erinnerung geblieben und der Platz, auf dem sich der Schulhof der Jawne befand, trägt seit 1990 den Namen „Erich-Klibansky-Platz“. Für Herrn Stellmacher, der im „Lern- und Gedenkort Jawne“ als Referent tätig ist, ist die Umbenennung des Platzes ein Fortschritt, der jedoch dadurch etwas geschmälert wird, dass keine Adresse an diesem Platz ansässig ist und generell sehr wenige Kölnerinnen und Kölner diesen Platz überhaupt kennen.

Erich-Klibansky-Platz (Wikipedia)

Auch Schülerinnen, die im Jahre 1938 noch die Königin-Luise-Schule besuchten, wurden später von Erich Klibansky und durch die Kindertransporte gerettet. 13 jüdische Schülerinnen waren noch bis Ostern 1938 auf der KLS, bis sie die Schule schließlich verlassen mussten. Der Projektkurs Geschichte hat in den vergangenen Jahren sehr viele Recherchen zu diesen Schülerinnen angestellt und die Spuren von einigen dieser Schülerinnen zur Jawne nachverfolgen können. Von vielen verliert sich jedoch die Spur, wobei es durchaus möglich gewesen ist, dass sie, nachdem sie die Königin-Luise-Schule verlassen mussten, noch die Jawne besucht haben. Nach Ostern 1938 finden sich nämlich auf den Klassenlisten der KLS keine jüdischen Schülerinnen mehr, sodass sie alle die Schule verlassen haben müssen. Im Rheinland war die Jawne die einzige Schule, die sie danach noch besuchen konnten. Dass diese Schülerinnen auch auf die Jawne gingen, kann jedoch nicht bewiesen werden. Bisher sind uns fünf Schülerinnen bekannt, die sowohl die KLS als auch die Jawne besucht haben. Lieselotte Kramer, Ingelore Silberbach, Hannelore Bier und Hilde Edith Levi besuchten. Alle  waren in derselben Klasse an der KLS (7.Klasse) und später auch an der Jawne. Die letzte Schülerin, Eva Alsberg, wurde 1938 in die Obertertia (9.Klasse) versetzt und kam auch nach Ostern 1938 an die Jawne.

Ihre Schicksale sind sehr unterschiedlich: Ingelore Silberbach konnte schon am 21. September 1938 als erstes Kölner Kind mit Ausreisegenehmigung auf ein Internat in England wechseln. Lieselotte Kramer folgte ihr bald als zweites Kölner Kind mit Ausreisegenehmigung. Sie floh jedoch nicht nach England, sondern wurde am 13. Dezember 1938 zuerst mit einem Kindertransport, zusammen mit ihrem Bruder Walter, nach Belgien gebracht, wo sie mehr als ein Jahr leben sollte. Ihre Eltern erhielten am 31. August 1939 ihre Visa für die USA und wurden aufgefordert diese am 3. September 1939 abzuholen. Obwohl der 2. Weltkrieg am 1. September 1939 begonnen hatte, schafften sie es, zur Visastelle zu gelangen. Es wurde vereinbart, dass sie ihre Kinder auffordern sollten, nach Deutschland zurückzukehren, was sie jedoch nicht taten. Ihr Plan war es, erst zu flüchten und ihre Kinder dann nachzuholen. Und genau das gelang ihnen auch. Am 6. Februar 1940 trafen Lieselotte und ihr Bruder Walter dann in New York ein und lebten ein Leben fernab vom Nationalsozialismus.

Hannelore Bier und Hilde Edith Levi konnten ebenso gerettet werden wie ihre Klassenkameradinnen. Der vierte und letzte Kindertransport der Jawne führte sie, gemeinsam mit 25 anderen Mädchen unter der Leitung von Hans Joseph Heinemann, nach Manchester, wo sie in einem Hostel unterkamen. Hannelore Bier floh nach Kriegsende wohl mitten in der Nacht per Anhalter zurück nach Deutschland und lebte dort in einem Ort in der Nähe von München. Besonders bei ihr ist, dass sie für einen Tag die Nürnberger Prozesse besuchte und sich verständlicherweise immer weiter von ihrer Heimat Deutschland entfernte. Sie wollte die Sprache nicht mehr sprechen und wanderte bald in die USA aus. Ebenso kam Hilde Edith Levi in die USA und heiratete am 24. März 1949 in Kansas City.

Alle Schülerinnen, von denen wir wissen, haben es also geschafft, der Deportation zu entkommen, was sehr überraschend ist. Einzelheiten über das Leben der fünf Schülerinnen, auf die in diesem Teil eingegangen wurde, finden sich im Gedenkbuch.

Stolpersteine vor dem Eingang des Neubaus

Aufgrund der Sanierung des alten Schulgebäudes der KLS wurden die Stolpersteine, die vorher vor dem Haupteingang des Schulgebäudes lagen,  entnommen und am Mittwoch, dem 16. März 2022, zusammen mit den sechs neuen Steinen, in Verbindung mit einer Gedenkfeier vor dem Neubau der KLS verlegt. Die nun 22 Stolpersteine zeigen die beeindruckende Arbeit des Projektkurses Geschichte unter der Leitung von Herrn Erkelenz in den vergangenen Jahren. Die neuen Stolpersteine wurden für Ingelore Silberbach, Hannelore Bier, Hilde Edith Levi, Lieselotte Kramer und ihre Mutter Nellie Kramer verlegt.

Die Verbindung geht auch über diese fünf Schülerinnen hinaus. Zu früheren Zeiten machte Charlotte Weissberg (Lotte Gabel) 1927 ihr Abitur an der KLS. Sie besuchte nach dem Abitur ein Lehrerseminar auf der Jawne, um Volksschullehrerin zu werden. Carola Lüthgen-Steiner war Vertretungslehrerin an der KLS und wechselte an die Jawne, als sie 1933 aus dem Dienst entlassen wurde.

Die Verbindungen zwischen KLS und Jawne sind also weitreichend und werden z. B. durch die Stolpersteine und die Projekt im Geschichte Zusatzkurs sowie Projektkurs heute noch aufrechterhalten. Für uns hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, sich mit der Geschichte der Jawne zu befassen und es durchaus möglich ist, dass sich in Zukunft heute noch unbekannte Verbindungen auftun werden.

 

Literaturverzeichnis

Geocaching. (13. März 2022). Von https://www.geocaching.com/geocache/GC6RWJ6_jawne?guid=c2cc59d6-53dc-43e0-b040-0e2610a50a26 abgerufen

Lern- und Gedenkort Jawne. (04. März 2022). Von https://www.jawne.de/ abgerufen

Wikipedia. (17. März 2022). Von https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erich-Klibansky-Platz_K%C3%B6ln_040.jpg abgerufen

Yad Vashem. (17. März 2022). Von https://www.yadvashem.org/yv/de/exhibitions/through-the-lens/klibansky.asp#gallery abgerufen

 

 

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