Gedanken zum 83. Jahrestag der „Reichspogromnacht“ am 9.11.2021
von Tara, Anabel und Carla (Q2)
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Lehrerinnen und Lehrer,
heute vor 83 Jahren, am 9. November 1938, riefen die Nationalsozialisten dazu auf, jüdische Geschäfte und Synagogen zu zerstören. In der Nacht darauf, der sogenannten Reichspogromnacht, brannte es dann überall in Deutschland, auch in Köln: Jüdinnen und Juden wurden überfallen und misshandelt, einige starben, viele wurden verhaftet oder in Konzentrationslager verschleppt, Synagogen standen in Flammen, Geschäfte von jüdischen Inhabern wurden geplündert und zerstört. Ein Bild des Hasses und der Hetze, wie wir es uns heute gar nicht mehr vorstellen können.
Nun haben wir uns 83 Jahre später versammelt, um an die schrecklichen, gewaltsamen Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung zu erinnern. Deswegen freuen wir uns, dass viele Schülerinnen und Schüler anwesend waren, vor allem aus den Patenklassen der Stolpersteine, um zusammen mit uns ein Zeichen zu setzen! Der heutige Tag sollte uns Anlass geben, der Opfer dieses Pogroms und aller anderen des Nationalsozialismus zu gedenken. Er sollte uns auch Anlass geben, über unsere Rolle als Deutsche heutzutage nachzudenken, uns der Verantwortung klarzuwerden, die wir haben. Wir müssen dafür sorgen, dass etwas Ähnliches nie wieder geschieht. Genau heute sollten wir aber auch die Überlebenden selbst sprechen lassen, den Opfern eine Stimme geben, ihnen ein Stück Selbstbestimmung zurückgeben, dafür sorgen, dass ihre Geschichten nicht vergessen werden.
Edith Jonas wurde am 27. August 1913 in Köln Ehrenfeld geboren, sie war eine jüdische Schülerin an der Königin-Luise-Schule und absolvierte im Jahr 1934 ihr Abitur. Gemeinsam mit ihrer Familie floh sie 1937 in die Niederlande. Als die Deutschen dann 1940 in die Niederlande einmarschierten, wurden sie alle doch deportiert, und zwar in das Vernichtungslager Auschwitz. Als sei dies nicht schon dramatisch genug, erfuhr Edith Jonas dort noch mehr Leid: Der gefürchtete Arzt Dr. Josef Mengele veranstaltete Experimente mit radioaktiven Strahlungen mit ihr. Trotz dieser Umstände überlebte sie. Wie durch ein Wunder traf sie nach ihrer Rückkehr in die Niederlande auch ihren Ehemann wieder, die beiden bekamen einen Sohn und emigrierten in die USA.
Wie sehr wir uns jetzt wünschen, wir könnten nun aufhören ihre Geschichte zu erzählen. Es bleibt leider ein Wunsch, denn die Realität ist oft härter, als wir es begreifen wollen. Edith Jonas starb am 13.09.1951 mit 38 Jahren an Leukämie, höchstwahrscheinlich eine Spätfolge der Experimente, die Mengele mit ihr durchgeführt hatte. Sie hinterließ ihren Ehemann und den damals fünfjährigen Sohn.
Mit diesem Sohn, Johnny Cahn, haben wir heute Kontakt. Er lebt immer noch in den USA. Wir können es sicherlich, anhand seiner Familiengeschichte, alle verstehen, dass sein Blick auf Deutschland kein guter ist. Was uns deswegen besonders berührt, ist, dass er selbst in einer Mail schreibt, er versuche, seine moralische Position gegenüber einer neuen Generation von Deutschen und ihre Kämpfe um das Verständnis der Handlungen ihrer Vorfahren zu analysieren. Weiter schreibt er, es wäre nicht einfach für ihn, denn, „was eine große Familie hätte sein sollen, ist jetzt eine kleine Familie“.
Berühren tut uns diese Aussage so sehr, da sie zeigt, was für einen Einfluss die Aufrechterhaltung der Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus haben kann. Sie gibt uns außerdem das Gefühl, etwas in der Geschichte ansatzweise richtigzustellen. Sie sollte uns aber auch lehren, dass unsere Geschichte als Deutsche noch lange nicht aufgearbeitet ist, weshalb es an uns liegt, alles daranzusetzen, durch unseren Einsatz für Opfer und Angehörige eine Art Frieden herzustellen. Er ist sehr beeindruckt und glücklich darüber, dass deutsche Schüler die Erinnerung an seine Mutter bewahren wollen – durch ihre Biographie und den Stolperstein. Er schrieb uns, „I admire the project you have undertaken and the importance of the research and history that you are conducting. It is my hope that the world is on a trajectory to a better future, but that must be based on a clear understanding of our past. You are certainly contributing to that good outcome.“
(„Ich bewundere das Projekt, das ihr in Angriff genommen habt, und die Bedeutung der Forschung und der Geschichte, die ihr betreibt. Ich hoffe, dass sich die Welt auf dem Weg in eine bessere Zukunft befindet, aber das muss auf einem klaren Verständnis unserer Vergangenheit beruhen. Ihr tragt sicherlich zu diesem guten Ergebnis bei.“)
Liselotte Kramer war ebenfalls jüdische Schülerin der KLS. Sie wurde am 2. Juni 1925 geboren und lebte gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Köln. Im Jahr 1938, also mit 13 Jahren, floh sie zusammen mit ihrem Bruder nach Brüssel, ohne ihre Eltern. Dort lebte sie erst in einer Pflegefamilie und dann in einem Kinderheim. 1940 gelang es den Geschwistern nach New York zu fliehen, wo sie ihre Eltern wieder trafen. Die Familie überlebte also glücklicherweise, wobei die Erfahrungen des Nationalsozialismus sicherlich nicht spurlos an ihnen vorbeigingen. Denn sie haben mit ihrer Heimat alles verloren, auch einige Familienmitglieder wurden ermordet. Deutlich wird ihre Wut wegen des Leides, was sie schon in so jungen Jahren spüren musste, als sie von ihrem Besuch in Köln im Jahr 1955 berichtet: „At the time I was very mad at the Germans and I was very happy to see everything in ruins“ („Zu dieser Zeit war ich sehr wütend auf die Deutschen, weshalb es mich froh machte, alles in Trümmern liegen zu sehen“).
Auf die Frage hin, was sie ihren Kindern oder Enkelkindern für eine Nachricht über den Holocaust und das, was sie erfahren hat, übermitteln würde, sagte sie: „Well, they should take it as a warning to not… to try not let that kind of thing happen, to do all they can to teach their children and maybe their friends and others to be kind to each other and not to… not to have prejudice.” (“Sie sollten es als Warnung verstehen, so etwas nicht zuzulassen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihren Kindern und vielleicht auch ihren Freunden und anderen beizubringen, lieb zueinander zu sein und keine Vorurteile zu haben.”)
Und genau deswegen bitten wir euch, ihrem Rat zu folgen. Vor allem denken wir da an euch, liebe Patenklassen der Stolpersteine, ihr tragt dazu bei, dass diese Menschen nicht vergessen werden, ihre Geschichten weiterleben. Danke für euren Einsatz!