Nationalsozialismus

Die Königin-Luise-Schule im Nationalsozialismus

Die Zeit des Nationalsozialismus ist die mit Abstand düsterste Phase in der Schulgeschichte – das liegt in der Sache selbst begründet. Zugleich ergeben sich für ihre Erforschung hier die größten Probleme – das beruht vor allem auf der Quellenlage.

 

Verlässliche Informationen über historische Ereignisse und Prozesse erhält man vor allem aus zeitgenössischen, schriftlichen, offiziellen Dokumenten. In unserem Fall wären das Schulakten, Zeugnislisten, Diensttagebüchern u.ä.. Diese Unterlagen, die an manchen anderen Schulen noch vorliegen, sind bei uns aber fast vollständig im Krieg vernichtet worden. Das wenige, das den Krieg überstanden hatte, fiel dann dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im Jahr 2009 zum Opfer und ist auf Dauer oder zumindest auf absehbare Zeit ebenfalls verloren.

Hinzu kommt, dass auch an der KLS – wie in vielen anderen Institutionen - über lange Zeit die Phase des Nationalsozialismus das geringste Interesse auf sich gezogen zu haben scheint, selbst in Zeiten, in denen Dokumente und Zeitzeugenaussagen, z.B. von noch aktiven Lehrkräften, verfügbar gewesen wären. So wissen wir interessanterweise über das Kaiserreich teilweise deutlich mehr, obwohl diese Zeit viel weiter zurückliegt (vgl. dazu z.B. Festschrift 5ff.; Voss 256ff.).

Als wir im ersten Projektkurs Geschichte im Jahr 2015 mit der Erforschung der Schulgeschichte begannen, verfügten wir daher über so gut wie keine Quellen. Im Verlauf der letzten Jahre haben wir sehr viele bisher unbekannte Informationen und Dokumente finden können, zu Lehrkräften, Schülerinnen, zum Schulalltag. Einige Akten aus dem Historischen Archiv konnten gerettet und restauriert werden; das meiste stammt aber aus Bibliotheken und Archiven außerhalb Kölns, die im Krieg nicht zerstört wurden. Doch haben sich die Probleme damit nicht gelöst. Unsere Quellen erhellen zwar jetzt manche Facetten, vor allem zum äußeren Rahmen. Zum Klima an der Schule, zur Haltung der Schulgemeinde und damit zur Ausprägung des Nationalsozialismus an der KLS bieten sie aber ein unklares, oft sogar widersprüchliches Bild.

„Nationalsozialistische Musterschule“ ?

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, innerhalb weniger Wochen übernahmen die Nazis auch in Köln die Macht. Am 8. März „flatterte zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne […] vom Anstaltsgebäude der KLS.“ Am 21. März 1933 bezeichnete der Schulleiter den Prozess der Machtübernahme als „den Frühlingstag einer beginnenden neuen Zeit.“ „Das Lehrerkollegium betrachtete es als heilige Pflicht, sich mit nationalsozialistischem Gedankengut vertraut zu machen, um die Erziehungsarbeit an der uns anvertrauten Jugend [...] im Hinblick auf die neuen Erziehungsideale des nationalsozialistischen Staates zu erfüllen“.  Nach Verabschiedung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 wurden die beiden jüdischen Lehrkräfte entlassen. Ab sofort fand sich unter den Vorschlägen für die schriftliche Abiturprüfung immer mindestens einer mit einer spezifisch nationalsozialistischen Thematik. Der Terminkalender der KLS wurde in einer uns exzessiv erscheinenden Weise mit politisch-ideologischen Veranstaltungen auf Kosten des regulären Unterrichts gefüllt (siehe dazu exemplarisch die Terminkalender der Schuljahre 1927/28 und 1934/35 im Vergleich). Dabei engagierte sich das Kollegium mit einer großen Zahl politischer Reden in nationalen Stunden oder bei nationalpolitischen Schulungen.

Das klingt nach einer nationalsozialistischen Musterschule. Allerdings stammen diese Nachrichten alle aus unserer größten Quellengruppe, den offiziellen Schuljahresberichten (die uns für die Jahre von 1933 bis 1940 lückenlos vorliegen). Sie dokumentieren einerseits nur verbindliche Vorgaben, die der Schule „von oben“ gemacht und deren Umsetzung kontrolliert wurde. Es wäre naiv anzunehmen, dass man sich dem ohne Konsequenzen hätte verweigern können, dementsprechend findet man diese Entwicklungen in nahezu identischer Form an allen Schulen. Darüber hinaus waren die Jahresberichte an die Öffentlichkeit bzw. an die vorgesetzten Behörden gerichtet. Hier sagte man, was man – tatsächlich oder vermeintlich – sagen musste oder was opportun erschien. Wie dieser formale Rahmen in der Realität tatsächlich gefüllt und gestaltet wurde, ist eine ganz andere Frage.

„Hort des Widerstandes“ ?

Ein ganz anderes Bild bietet sich in unserer zweiten großen Quellengruppe – den Entnazifizierungsakten der Lehrkräfte (die uns zum Teil vorliegen). Nach ihrer Aussage stand das gesamte Kollegium dem Regime prinzipiell ablehnend gegenüber, verweigerte die Umsetzung ideologischer Vorgaben oder leistete sogar offenen Widerstand im Unterricht; Zugeständnisse und Kompromisse gab es nur unter Zwang oder um Schlimmeres zu verhindern.

Bei diesen Zeugnissen handelt es sich allerdings um reine, unbewiesene Selbstaussagen, entstanden nach dem Ende des NS-Regimes, in einer Zeit kollektiver Selbstentlastung und Schuldabwehr. Manche Aussagen – wie die Mär vom aktiven Widerstand im Unterricht – sind an sich völlig unglaubwürdig. Andere – wie der Verweis auf Zwang oder persönliche Notsituationen, die Sinnlosigkeit von offenem Widerstand und die Absicht, durch äußerliches Entgegenkommen „Schlimmeres verhindern zu können“ - mögen im Einzelfall zwar glaubhaft erscheinen. Allerdings werden sie auch dadurch entwertet, dass man – nicht nur an der KLS, sondern auch an anderen Schulen und in der gesamten Gesellschaft – auf die immer gleichen Erklärungsmuster trifft, bei denen es sich um regelrechte „Selbstentlastungsstrategien“ handelt.

Diese Akten zeugen damit eher davon, wie das Kollegium nachträglich mit der eigenen Verantwortung umging – oder eben auch nicht. Über die Realität vor Ende des NS-Regimes erfahren wir hier ebenso wenig wie aus den Jahresberichten.

„An der politischen Zuverlässigkeit bestehen keine Zweifel“

Wieder ein anderes Bild zeichnet die dritte große Quellengruppe – die Personalakten der Lehrer, die uns ebenfalls zum Teil vorliegen. Hier begegnet uns ein Kollegium, das im Sinne des Regimes funktionierte und an dessen politischer Zuverlässigkeit – wie in mehreren Fällen ausdrücklich vermerkt wurde – keine Zweifel bestanden. So kennen wir (im Unterschied zu mancher anderen Schule) zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch kein Beispiel dafür, dass eine Lehrkraft versetzt, zwangspensioniert oder entlassen wurde – abgesehen natürlich von den jüdischen Lehrerinnen. Stattdessen finden wir zahlreiche Festanstellungen, Verbeamtungen und auch Beförderungen. Die Bereitschaft zum Eintritt in NS-Organisationen war ausgeprägt (natürlich bei manchen mehr, bei anderen weniger). Und es gab eine vergleichsweise hohe Zahl an Mitgliedschaften in der NSDAP.

Das gilt auch für den Schulleiter der KLS. Dr. Johannes Beuel wurde 1926 zum Leiter der Königin-Luise-Schule berufen. Damit stammte er – wie viele andere Kölner Schulleiter höherer Schulen auch – noch aus dem „alten“ politischen System. Dennoch bestanden auch an seiner politischen Zuverlässigkeit nach 1933 keine Zweifel, wie sich allein daran zeigt, dass er bis zum Kriegsende im Amt blieb und darüber hinaus auch noch weitere Aufgaben an anderen Schulen übernahm. 1938 erhielt er – wie alle nach 25jähriger Dienstzeit -  das silberne Treudienst-Ehrenzeichen, 1944 das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse; in diesem Zusammenhang bestätigte das Kreispersonalamt der NSDAP, man könne „über den Genannten nichts Nachteiliges mitteilen und bejahe die politische Zuverlässigkeit.“ Auch Dr. Beuel gehörte zu den „Märzgefallenen“, die noch im Frühjahr 1933 eilends in die NSDAP eingetreten waren (gerade noch „rechtzeitig“, bevor wegen des Massenandrangs ein mehrjähriger Aufnahmestopp verhängt wurde). Darüber hinaus war er Mitglied im NS-Lehrerbund (NSLB), in der NS-Volkswohlfahrt (NSV), im Reichsluftschutzbund (RLB), im Reichskolonialbund (RKB), im Verein für die Förderung des Deutschtums im Ausland (VDA) und im Volksbund für Kriegsgräberfürsorge.

Doch auch das sind zunächst nur Äußerlichkeiten, und es gilt auch hier, was Horst Matzerath im maßgeblichen Standardwerk zur Geschichte Kölns im Nationalsozialismus formuliert hat: „Entscheidender als die Mitgliedschaft oder selbst die Funktion in der Partei ist die Rolle, die die einzelnen Akteure in unterschiedlichen Handlungsbereichen wahrgenommen haben“ (S. 7). Tat jemand (nur) das, was er tun musste, um keine Konsequenzen fürchten zu müssen? Tat er weniger und ging ein Risiko ein? Oder tat er mehr, als verlangt war, aus Überzeugung oder – in den Konsequenzen ebenso schlimm – aus vorauseilendem Gehorsam oder Beflissenheit? Nutzte jemand seine Spielräume – die es immer gibt, auch in einer Diktatur – in die eine oder die andere Richtung?

„Sowohl – als auch“ ?

Für diese Frage des konkreten Verhaltens im Alltag - unter der Oberfläche vielleicht nur äußerlicher Loyalitätsbekundungen - wären Zeitzeugenberichte die entscheidende Quelle. Zeitzeugen gab es zwar und gibt es auch noch, doch nimmt zum einen ihre Zahl stetig ab – das ist der Lauf der Dinge. Vor allem aber sind Zeitzeugenaussagen in vielfacher Hinsicht sehr problematisch. Jede Wahrnehmung ist subjektiv, das gilt auch für uns heute im gleichen Maße. In der Rückschau über Jahre oder sogar Jahrzehnte verschwimmt zudem vieles. Erinnerungen sind daher oft lückenhaft, undifferenziert, fehlerhaft – umso mehr, wenn es die von Kindern und Jugendlichen sind. Und gerade für die Zeit des Nationalsozialismus werden Erinnerungen bewusst oder unbewusst in vielfacher Hinsicht verzerrt oder verfälscht - bei den nicht-jüdischen Mädchen wirkten natürlich die gleichen Mechanismen von Verdrängung und Schuldabwehr wie bei den Lehrern. Daher ist der Aussagewert von Zeitzeugenaussagen in der historischen Forschung sehr umstritten und sie werden nur mit größter Vorsicht verwendet.

Zwei exemplarische Beispiele mögen diese Problematik für unsere Schule verdeutlichen. „An der KLS war der Nationalsozialismus überhaupt nicht spürbar“ – so die sinngemäße Aussage einer ehemaligen Schülerin aus einem Abiturjahrgang der 1940er Jahre. Eine andere Schülerin, ebenfalls aus einem Abiturjahrgang der 1940er Jahre, berichtet dagegen, an der KLS seien viele Lehrer Nazis gewesen, viele Schülerinnen und Lehrer seien in Uniform in der Schule erschienen, und es habe massiven politischen Druck gegeben. Schon die Diskrepanz zur ersten Aussage zeigt, wie subjektiv Wahrnehmung oder Erinnerung sein kann. Und so dünn unsere Quellenlage auch sein mag – sie reicht doch, um zu zeigen, dass beide Sichtweisen in dieser (undifferenzierten) Form nicht zutreffen können.

Das gilt für alle Aussagen ehemaliger Schülerinnen der KLS, von denen wir in langer Suche tatsächlich eine ganze Reihe haben finden können. Einigkeit herrscht nur in einem Punkt: Niemand war „dafür“, alle waren „dagegen“, und auch in den BDM gingen alle nur widerwillig und gezwungenermaßen (während andererseits jüdische Kinder offen zugaben, dass sie gerne auch dabei gewesen wären). Viele bezeichnen den Direktor Dr. Beuel als „Anti-Nazi“ – andere berichten, er habe kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit mit Drohungen unterdrückt. Kein Mitglied des Kollegiums war Nazi – aber viele (Lehrer und Schülerinnen) erschienen in Uniform oder mit Parteiabzeichen in der Schule. Kein Lehrer hat politischen Druck ausgeübt - andererseits wusste man genau, bei wem man aufpassen musste. Eine Biologielehrerin hat sich bei der Rassenkunde besonders hervorgetan, eine andere Kollegin in ihrem Einsatz für das „Volkstum im Ausland“. Eine Kunstlehrerin habe sich – so der Abiturjahrgang 1941 (!) - aus tiefer Überzeugung ein halbes Jahr lang nur mit den „Bauten des Führers“ beschäftigt; und – so derselbe Jahrgang - auf die Nachricht vom Attentat auf Hitler (1944 ?) sei sie in Tränen ausgebrochen. Manche berichten offen vom Hitlergruß zu Stundenbeginn, vom Hitlerbild im Klassenraum und vielen vielen politischen Reden in der Aula – andere meinen (wie oben beschrieben), der Nationalsozialismus sei an der Schule gar nicht zu spüren gewesen.

Aussagekräftiger wären hier wohl die Wahrnehmungen der jüdischen Schülerinnen. Sie weisen zwar die gleiche generelle Problematik der Quellengattung auf, und auch bei ihnen besteht das Risiko, dass ihre Schulzeiterlebnisse durch andere, spätere Wahrnehmungen überlagert sind. Ihnen fehlt aber der „Zwang“ zu Verdrängung und Schuldabwehr. Leider fehlen uns solche Zeugnisse aber fast vollständig.

Welche Ausprägung hatte der Nationalsozialismus an der KLS nun tatsächlich und wo zwischen den beiden Extremen ist sie einzuordnen – falls man das so pauschal überhaupt sagen kann? Trotz aller Fortschritte können wir das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entscheiden. Vielleicht werden wir einer Antwort irgendwann näher kommen, doch kann dies nur auf der Basis weiterer Detailstudien erfolgen, die teilweise bereits in Arbeit sind oder noch geleistet werden.

An einer Stelle scheint aber zumindest eine vorsichtige Aussage möglich. Dies betrifft die jüdischen Schülerinnen der KLS, und hier geht es nicht um Meinungen und Deutungen, sondern um Zahlen und damit um Fakten – und um die Frage, wie man sich in seinem „Handlungsbereich“ tatsächlich verhalten hat.

Die jüdischen Schülerinnen der KLS im Nationalsozialismus

Von ihrer Gründung an war die KLS bei jüdischen Familien sehr beliebt und wurde jedes Jahr von einer großen Zahl jüdischer Schülerinnen besucht. Deren Anteil lag im Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik immer bei mindestens 5 Prozent, phasenweise sogar bei über 10 Prozent und damit deutlich über dem Anteil von Juden an der Kölner Gesamtbevölkerung (2 Prozent). So war es auch noch am Ende des Schuljahres 1932/33: Zu Ostern 1933 finden sich noch 30 jüdische Mädchen unter der Schülerschaft der KLS (5 Prozent).

Unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nazis begann ein beispielloses Geschehen: Der Staat wandte sich gegen eine Minderheit seiner eigenen Bevölkerung und verfolgte sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Alle Deutschen jüdischer Konfession – bisher voll in die Bevölkerung integriert – wurden nun gedemütigt, ausgegrenzt und entrechtet. Schritt für Schritt vernichtete man ihre soziale und wirtschaftliche Existenz, drängte sie aus Arbeitsstellen und Geschäften, aus Vereinen und auch aus den Schulen, um sie so – zunächst noch – zur Flucht zu zwingen.

Dementsprechend sank auch die Zahl jüdischer Schülerinnen an der KLS. Ein gutes Jahr nach dem Beginn des NS-Regimes, im Mai 1934, waren es nur noch 18, im Mai 1937 nur noch 13; ein Jahr später, im Mai 1938, hatte dann auch die letzte jüdische Schülerin die KLS verlassen müssen. Dieser Prozess vollzog sich grundsätzlich an allen Schulen in Köln und in Deutschland – allerdings gab es Unterschiede.

Ergänzungsmeldung zum Schuljahresbericht 1935 (in: DIPF/BBF/Archiv)

An der KLS verlief der Prozess der Verdrängung langsamer, fiel die Zahl jüdischer Schülerinnen weniger dramatisch als an vielen anderen Schulen. Das lag auch daran, dass man hier noch deutlich länger bereit war, jüdische Mädchen neu aufzunehmen (bis 1935 in größerer Zahl, bis 1937 in Einzelfällen). Und während im Mai 1937 viele Kölner Schulen bereits – um das schreckliche Wort zu verwenden – „judenfrei“ waren, hatte die KLS die höchste Zahl jüdischer Schülerinnen. Dies könnte darauf hindeuten, dass man hier nicht versuchte, sich der jüdischen Mädchen schnellstmöglich zu entledigen, dass man zumindest ein Minimum an Anstand und Menschlichkeit ihnen gegenüber bewahrte. Auch das war nicht „gut“, es war vielleicht nur weniger schlecht als anderswo – aber der Vergleich zeigt, dass es eben auch anders und schlechter möglich war.

„Viele entschieden sich zähneknirschend zum Eintritt in die Partei und hofften, intern ausgleichend schlimmeres verhindern zu können“. Dieser Satz ist so oft strapaziert worden– und so oft zu Unrecht– dass man sich scheut, ihn überhaupt zu verwenden. Manches spricht aber dafür, dass er in diesem Fall die Haltung des Schulleiters Dr. Beuel doch korrekt beschreiben könnte. Denn ohne sein Zutun wäre eine solche Haltung sicher nicht denkbar.

Dennoch darf man nicht vergessen: Durch die Umsetzung der Vorgaben setzte man die Schülerinnen einer Flut von nationalsozialistischen Bildern, Symbolen, Ritualen und Inhalten aus. Das konnte nicht ohne Auswirkungen bleiben, selbst wenn sie an einzelnen Stellen abgemildert oder unterlaufen wurden. Damit hatten Schulleitung und Kollegium – an der KLS wie an anderen Schulen – ihren Anteil an und ihre Verantwortung für die Nazifizierung einer ganzen Generation.

Gedenken an die Opfer und Mahnung für die Gegenwart

Unabhängig von der Haltung der Schule steht aber eines außer Frage. Auch an der KLS wurden alle jüdischen Mitglieder der Schulgemeinschaft vom ersten Tag der NS-Diktatur an zu Opfern, mit allen schrecklichen Konsequenzen. Bisher haben wir erst ungefähr 30 Biographien erforschen können. Doch selbst in diesem überschaubaren Personenkreis können wir an allen wesentlichen Stationen und Orten des Holocaust jüdische Schülerinnen, Lehrerinnen und ihre Familien nachweisen: Viele wurden ermordet in Konzentrationslagern wie Bergen-Belsen, Dachau oder Theresienstadt, in den Ghettos von Warschau, Lodz oder Riga, in den Vernichtungslagern Auschwitz, Belzec und Sobibor.

Aus diesem Grund werden wir die Lebens- und Leidensgeschichten aller ehemaligen jüdischen Schülerinnen und Lehrkräfte der KLS erforschen und dokumentieren und Stolpersteine auf dem Schulgelände verlegen lassen für alle, die sich nach dem 30. Januar 1933 noch in Deutschland befanden. Denn sie alle müssen zwangsläufig zu Opfern geworden sein. So können wir unseren Teil dazu beitragen, ihnen wenigstens ein Stück ihrer Identität und damit ihrer Würde zurückzugeben, und sie mahnen uns, gegen jede Form von Ausgrenzung und Rassismus vorzugehen, und zwar vom ersten Moment an.

Erste Stolpersteinverlegung an der KLS 2018:

Doch es gab auch andere Opfer an der KLS, die durch eigenes oppositionelles Verhalten oder das ihrer Eltern vom NS-Regime verfolgt, in ihrem Lebensweg beschädigt und an Leib und Leben bedroht wurden. Auch ihrer werden wir in der gleichen Form gedenken, und sie sollen uns Vorbild sein für Mut und Zivilcourage.

Der Weg in den Krieg

Mutterkreuz in Gold für eine „Heldin der Gebärschlacht“, die „dem Führer acht oder mehr Kinder geschenkt hat“

Zu „Opfern“ wurden schließlich auch alle anderen – allerdings auf ganz andere Weise und aus anderen Gründen, nämlich durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges als Folge und Ergebnis der zuvor von weiten Teilen der Bevölkerung gutgeheißenen NS-Diktatur.

„Hitler bedeutet Krieg“ – so bemerkte ein aufmerksamer Zeitgenosse bereits im Frühjahr 1933, und das war beinahe noch untertrieben. Krieg zur Gewinnung von „Lebensraum“ für die zu formende deutsche „Herrenrasse“ – das war der Kern der ebenso verbrecherischen wie absurden NS-Ideologie. Zu diesem Krieg gab es keine Alternative, er war von Beginn an das Ziel aller politischen Maßnahmen im Inneren wie im Äußeren. Und dazu gibt es auch aus heutiger Perspektive kein „aber“ – das man leider immer noch hört mit Verweis auf angebliche positive Errungenschaften wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder die Überwindung der Weltwirtschaftskrise. Das alles diente nur der Vorbereitung des Krieges und konnte auf Dauer nur durch den Krieg erreicht werden.

Diese Kriegsvorbereitung erfasste den ganzen Staat, die Bevölkerung – und auch die Schulen. Hier sollte die Jugend auf ihre zukünftigen Aufgaben im Sinne des Regimes vorbereitet werden. Für die Jungen meinte dies vor allem die „Wehrertüchtigung“ als zukünftige Soldaten. Für die Mädchen bedeutete es – in Fortsetzung des traditionellen Frauenbildes - die Rolle als Hausfrau und Mutter. Mit der rassistischen NS-Ideologie kam aber ein weiterer Zug hinzu – der Aspekt der „Rassenhygiene“ und „Erbgesundheit“. Schon im Fach Biologie an Mädchenschulen war das ein besonderer Gegenstand des Unterrichts. Und mit dem Abitur erhielten alle Schülerinnen dazu eine Broschüre der Reichsleitung der NSDAP. Mit ihr sollten sie eingeschworen werden auf ihre Bedeutung und ihre Verantwortung für die „Reinerhaltung des Blutes“ – als zukünftige „Heldinnen der Gebärschlacht“ zur Erzeugung möglichst zahlreichen „rassereinen und erbgesunden“ Nachwuchses.

Werbeplakat der Reichsjugendführung um 1939

Neben der Schule sollten vor allem die NS-Jugendorganisationen – „Hitlerjugend“ und „Bund Deutscher Mädel“ – auf die zukünftigen Rollen vorbereiten. Bereits 1935 lag der Anteil der BDM-Mitglieder an der KLS bei 60 Prozent. Uns erscheint dieser Wert erschreckend hoch – im Vergleich lag er aber deutlich unter dem der meisten anderen Kölner Schulen. Ab 1936 wurde die Mitgliedschaft verpflichtend, jetzt stieg der Anteil auch an der KLS auf über 90 Prozent.

Eine höhere berufliche Tätigkeit von Frauen, vor allem eine akademische, hatte in der NS-Ideologie dagegen keinen Platz. Daher wurde bald an den höheren Mädchenschulen die Hochschulreife (und damit der Zugang zur Universität) vom Abitur getrennt und eine Quote für Frauen an Universitäten eingeführt (maximal 10 Prozent). Studieren durfte auch dann nur, wer zuvor ein halbes Jahr Pflichtdienst im Sinne des Regimes abgeleistet hatte. Auch wenn manches davon aufgrund der wirtschaftlichen, politischen und schließlich militärischen Entwicklung wieder abgemildert werden musste, zeigten sich auch an der KLS die Auswirkungen: War die Zahl der Mädchen mit akademischen Zukunftsplänen in der Weimarer Republik stetig gewachsen, nahm sie nun deutlich ab.

Auch die große NS-Schulreform ab 1936 stand in Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung. Ab sofort gab es nur noch die „Deutsche Oberschule“ – die KLS wurde „Deutsche Oberschule für Mädchen, sprachliche und hauswirtschaftliche Form“. Da sie mit ihrer zweigleisigen Oberstufe – den wissenschaftlichen Klassen des Oberlyzeums und den hauswirtschaftlichen der Frauenschule – diesem Typus bereits entsprach, blieben die Auswirkungen gering. Anders war es mit dem anderen Teil der Reform: der Schulzeitverkürzung von 13 auf 12 Jahre – nach unserem Sprachgebrauch der Umstellung von G9 auf G8. Hintergrund war vor allem die Absicht des Regimes, für den in Bälde geplanten Krieg früher Schülerjahrgänge für Militär und Wirtschaft verfügbar zu machen.

Die KLS im Krieg

Der Krieg begann am 1. September 1939 – gezielt und absichtlich herbeigeführt von der deutschen Regierung. Für manche waren die Auswirkungen direkt spürbar. Franz Merker, Lehrer für Latein, Griechisch und Geschichte an der KLS, hatte bereits im 1. Weltkrieg vier Jahre an der Front gedient. Nun wurde er für weitere vier Jahre eingezogen – auch ein deutsches Schicksal. Andere Lehrer folgten ihm, ebenso Väter, Onkel, Brüder von Schülerinnen. An der KLS selbst waren die Auswirkungen zunächst noch mittelbar – starke Präsenz von Militär in der Stadt, Begegnung mit Verwundeten, materielle Einschränkungen, Sammlungen von Wertstoffen und Metall (z.B. Türklinken und Fenstergriffe aus der Schule), Brand- und Luftschutzübungen.

Doch sehr bald bekam man die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges zu spüren, vor allem in Form der immer stärker werdenden alliierten Luftangriffe. Der Keller wurde „zur zweiten Heimat”, in der Schule wie auch zu Hause, 1944 wurden sogar die Abiturprüfungen durch einen Luftangriff unterbrochen – und anschließend fortgesetzt. Eine Zeitzeugin berichtet, wie sie auf dem Schulweg erleben musste, dass ein abgeschossenes deutsches Flugzeug am Rheinufer in Bayenthal in die Warteschlange an der Bahnhaltestelle stürzte, mit Toten und Verletzten. Nicht viel später verlor ihre Familie den gesamten Besitz, als ihr Elternhaus durch einen Bombentreffer zerstört wurde. So erging es vielen, und für manche waren die Folgen noch schlimmer, denn es gab auch Tote unter den Schülerinnen und der Lehrerschaft der KLS. Die Schülerin Inge D. und ihre Eltern starben in einem Luftschutzbunker, der einen Volltreffer erhielt, nur ihre jüngere Schwester Ellen überlebte. Die Lehrerin Hedwig J. verlor ihre Schwester und die gemeinsame Wohnung mit ihrem gesamten Besitz. Alle drei Brüder der Schülerin Irene G. fielen an der Front. Und das waren sicher nicht die einzigen Opfer.

Zeitgenössische Zeichnung der zerstörten KLS (gefunden bei der Sanierung 2022 im Schulleitungsbüro hinter dem Tresor)

Auch die Schule wurde mehrfach getroffen, der Unterricht in dem beschädigten Gebäude im Erdgeschoss notdürftig aufrechterhalten, teilweise im Wechsel mit anderen ausgebombten Schulen. Erst im Juni 1943 wurde das Gebäude völlig zerstört, ab jetzt nutzte die KLS die Räumlichkeiten der benachbarten Jawne, nachdem diese Schule geschlossen worden war und man alle jüdischen Schüler und Lehrer nach Minsk deportiert und ermordet hatte.

Im Juni 1944 schließlich wurden alle Kölner Schulen auf Anweisung der Gauleitung geschlossen, die Kinder sollten durch die “Kinderlandverschickung” aus der Reichweite der alliierten Bomber gebracht werden. Die KLS wurde – als nur eine von zwei Kölner Schulen – komplett nach Bansin auf der Insel Usedom verlegt (zusammen mit der Ursulinenschule). Allerdings weigerten sich viele Eltern, ihre Töchter gehen zu lassen, und viele waren bereits aus Köln geflohen. “Die ganze KLS” - das waren noch etwa 250 Schülerinnen, 15 Lehrkräfte und der Direktor samt Familie.

Die Reise erfolgte mit dem Zug - mit Reiseproviant (den sich die Eltern angesichts der schlechten Versorgungslage vom Munde abgespart hatten), Akkordeon und selbst gedichteten Fahrtenliedern.

Bansin war eines der berühmten kaiserzeitlichen Seebäder an der Ostsee. Die Gauleitung hatte die mondänen Hotels an der Strandpromenade beschlagnahmt, hier wurden nun die Schülerinnen nach ihrer Ankunft einquartiert.

Köln bei Kriegsende 1945

Alles begann wie ein schöner, aufregender Sommerurlaub - entwickelte sich aber mehr und mehr zu einem Albtraum. In Bansin war man zwar vor direkten Luftangriffen sicherer als in Köln. Luftalarme gab es trotzdem, nachts herrschte Verdunkelung und nicht selten mussten mitten in der Nacht Schülerinnen und Lehrkräfte im Nachthemd in die Splittergräben im Wald hinter den Hotels flüchten. Ein regulärer Schulbetrieb war kaum möglich. Oft gab es kein Wasser zum Waschen. Und die Hotels waren auf Sommerbetrieb ausgelegt. Nun aber stand ein harter Winter vor der Tür, mit Mangel an Brennstoff und Nahrungsmitteln, in nicht wirklich wintertauglichen Unterkünften. So wurden zahlreiche Schülerinnen noch im Herbst wieder zurückgeholt. Der Rest verbrachte einen schweren Winter und geriet schließlich im Frühjahr durch den Vormarsch der Roten Armee in unmittelbare Gefahr. Im letzten Moment gelang Anfang März die Flucht nach Kellenhusen in Schleswig-Holstein, wo man das Kriegsende erlebte.

Dort war man allerdings aufgrund der Zerstörung der gesamten Infrastruktur, aller Nachrichten- und Transportmittel völlig abgeschnitten; zudem verweigerten die britischen Besatzungsbehörden die schnelle Rückkehr nach Köln. Erst Mitte Juni konnten die Eltern darüber informiert werden, dass überhaupt die Flucht aus Bansin gelungen war. Und erst Ende Juli – fast drei Monate nach Kriegsende – gelang es, durch private Initiative, mit ein paar LKWs der Stadt in einer zweieinhalbtägigen Fahrt nach Köln zurückzukehren.

Die Schülerinnen kehrten in eine Stadt zurück, die fast völlig zerbombt war. In der Innenstadt waren 90 Prozent aller Gebäude zerstört, ebenso alle Rheinbrücken. In den Ruinen hausten noch maximal 40 000 Menschen, 20 000 waren getötet worden, der Rest geflohen.

 

Literatur:

  • Festschrift zur Hundertjahrfeier der Städtischen Königin-Luise-Schule Köln, Köln 1971
  • Trapp, Joachim, Kölner Schulen in der NS-Zeit, Köln 1994
  • Voss, Ludwig: Geschichte der Höheren Mädchenschule, Opladen 1952
  • Schuljahresberichte und Ergänzungsmeldungen (DIPF/BBF/Archiv Berlin) , Personal- und Entnazifizierungsakten (Historisches Archiv Köln und Landesarchiv Duisburg)
  • Alle Zeitzeugenaussagen finden sich auf der Homepage des NS-Dokumentationszentrums (http://www.eg.nsdok.de/) oder liegen als Scripte in der KLS vor.