Jüdisches Leben im Umfeld der Königin Luise Schule

Gertrud – Trudi – ist 10 Jahre alt. Sie wohnt in der Elisenstraße in der Kölner Innenstadt und besucht seit ein paar Monaten die benachbarte Luisenschule. Sie nimmt uns jetzt mit in ihren Tagesablauf und gibt uns dabei einen kleinen Einblick in das vielfältige jüdische Leben, das es im Jahr 1932 im Umfeld der Schule gibt.

Trudi ist keine reale Person, wir haben sie uns ausgedacht. Aber alles, was sie erlebt, könnte so tatsächlich geschehen sein. Und alles, was sie uns zeigt, hat es tatsächlich gegeben.

“Ich höre, wie meine Mutter die Tür öffnet und mir sagt, es ist Zeit aufzustehen. Ganz langsam krieche ich aus meinem Bett und trotte ins Badezimmer. Es ist 7:20 am Dienstagmorgen - ein Tag wie jeder andere. Nach dem Frühstück mach ich mich auf den Weg zur Schule. Zum Glück habe ich es nicht weit und kann zu Fuß gehen - deshalb kann ich morgens länger schlafen.

Als ich aus dem Haus komme, sehe ich gegenüber vor dem Haus Nummer 9 meine Freundin Judith auf mich warten. Wir kennen uns schon aus der Grundschule und sind beste Freundinnen. Wir gehen die Elisenstraße in Richtung der Straße Auf dem Berlich entlang und beobachten, wie die Brüder Lissauer ihre Metallfabrik Lissauer & Cie. öffnen. Judith erzählt öfters von ihnen, da sie auch in der Gemeinde Adass Jeschurun sind,

Judith stammt aus einer orthodoxen Familie. Das sind streng gläubige Juden, für die die Religion eine ganz bedeutende Rolle spielt. Natürlich sind sie auch “national”, Judiths Vater hat sogar im Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Aber die jüdische Religion spielt eben für sie eine ganz wichtige Rolle. Deshalb ist sie auch Mitglied in der orthodoxen Gemeinde Adass Jeschurun und geht auf das jüdische Realgymnasium Jawne, das direkt neben der Synagoge ist.

Bei uns zu Hause spielt die Religion keine große Rolle, wir feiern zwar die großen jüdischen Feiertage, aber wir feiern auch Weihnachten. In die Synagoge gehen wir nur ganz selten, und dann in die nicht so strenge Synagoge in der Glockengasse. Das ist aber kein Problem zwischen mir und Judith, wir sind trotzdem beste Freundinnen und reden eigentlich nur selten über die Religion.

Wir gehen durch die Helenenstraße und bis zur St.-Apern-Straße, wo wir schon unsere Schulen sehen. Judith geht also nach links zur Jawne und ich biege nach rechts ab zur Königin-Luise-Schule. Seit Ostern diesen Jahres gehe ich auf diese Schule. Was war das für eine Aufregung! Erst die Aufnahmeprüfungen. Dann die Angst, als der "Zeus", der Herr Direktor, auf der großen Treppe im Foyer die Ergebnisse verkündet hat. Was für eine Erleichterung, als es geklappt hatte und ich angenommen war. Keine Blamage vor den Freundinnen oder den Verwandten, Gott sei Dank.

Nach Schulschluss um 14 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Büro meines Vaters, damit wir gemeinsam Mittagessen gehen können. Ich laufe die St.-Apern-Str. Richtung Breite Straße entlang. Rechts von mir  liegt das orthodoxe Gemeinde- und Schulzentrum. Ich bestaune die Synagoge der Adass Jeschurun mit ihrer zwiebelförmigen Kuppel und den Rundbogenfenstern. An der nächsten Kreuzung biege ich nach links in die Breite Straße ein und sehe schon das Agrippinahaus, in dem mein Vater als Anwalt in einer schicken Kanzlei arbeitet. Letztens habe ich im Kunstunterricht gelernt, dass dieses Haus, genauso wie das Geschäftshaus S. J. Salomon, von dem jüdischen Architekten Georg Falck entworfen wurde. Er zählt zu den wichtigsten Architekten des Warenhausbaus im Deutschen Reich.

Vor dem Eingang treffe ich meinen Vater und wir gehen die Straße weiter und biegen nach rechts in die Lang-Gasse ein. Währenddessen erzähle ich von meinem Schultag. Von da gehen wir dann direkt in die Glockengasse, der wir bis nur nächsten Kreuzung folgen, an der sich das Café und Restaurant Silberbach befindet. Der Besitzer Leo, ein jüdischer Kaufmann, ist ein guter Freund meines Vaters. Wir essen hier jeden Dienstag zu Mittag.

Nach dem Essen gehen Papa und ich  gegenüber in die Synagoge. Aber nicht zum Beten, ich sehe sie mir einfach immer nur wieder gerne an. Wenn ich die Synagoge betrete, bin ich immer aufs Neue fasziniert von den prachtvollen Farben der Verzierungen. 1861 wurde die Synagoge gebaut, ist aber leider sechs Jahre später abgebrannt und wurde nach den alten Plänen wieder aufgebaut. Ich schätze, dass der Innenraum für circa 350 Gläubige Platz zum Beten hat und somit eine der größten Synagogen Kölns ist.

Jetzt muss mein Vater wieder zurück zur Arbeit und wir verabschieden uns vor dem prächtigen Oppenheim-Palais direkt neben der Synagoge, welches seit vielen Jahren ein Wohnheim für Frauen ist. Soweit ich weiß, hat da früher die Familie Oppenheim gelebt, die auch die Synagoge finanziert hat. Ich drehe mich um in Richtung Rhein und gehe zum Geschäftshaus S. J. Salomon in der Brückenstraße, um dort Stoffe für meine Mutter zu besorgen. Auf dem Weg komme ich am neuen Disch-Haus vorbei, das gerade erst eingeweiht worden ist. Sieht schon ganz schön modern aus zwischen all den alten Häusern.

Finanziert haben es wohl jüdische Unternehmer. Sagt jedenfalls Judith. Und während ich so durch die Straßen bummle, bin ich immer wieder erstaunt, wie viele jüdische Geschäfte es hier im Umkreis gibt. Das riesige Warenhaus Bing am Neumarkt zum Beispiel. Oder das Kaufhaus Tietz. Die Tochter der Familie Tietz, Hertha, ist übrigens auch auf unserer Schule, und zwar schon in der Unterprima. Auch die Tochter von Herrn Marx, der ein Herrenmodengeschäft am Anfang der Ehrenstraße hat, war auf der Luisenschule, das ist aber schon länger her. Ebenfalls auf der Ehrenstraße ist die schöne Metzgerei Katz-Rosenthal, und der Vater von Elisabeth hat ein Bekleidungsgeschäft auf der Schildergasse. Elisabeth kenne ich von der Grundschule, sie war eine Klasse unter mir. Vielleicht kommt sie nächstes Jahr auch auf die Luise. Direkt daneben - also auf der Schildergasse - kaufen wir auch immer meine Schulsachen, und zwar in der Papierhandlung Gompertz, auch das ist ein jüdisches Geschäft.Und dem Onkel von Liselotte aus meiner Klasse gehört ein großes Kristallwarengeschäft in der Schildergasse. Oft stehen wir vor den Schaufenstern und sind ganz fasziniert von dem Geglitzer. Ihre große Schwester Hannah Liese ist schon in der Quarta, und ihr Vater hat eine große Praxis am Hohenstaufenring. Er ist ein Gynäkologe ... oder so ähnlich. Was ein Gynäkologe macht, weiß ich gar nicht so genau, aber Mama geht da regelmäßig hin. Papa nicht.

Ich wüsste das alles gar nicht so, denn man sieht es den Geschäften ja nicht an, ob sie "jüdisch" sind, nur manchmal merkt man es an den Namen. Judith erzählt mir so etwas. Oft kennt sie die Leute aus der Gemeinde, oder sie ist eben doch stolz darauf, dass es so viele jüdische Geschäfte und Einrichtungen gibt.

So, jetzt bin ich bei Salomon fertig und habe die Stoffe, jetzt muss ich nur noch in die Kurz-, Weiß- und Wollwarenhandlung Karfiol, um Knöpfe zu kaufen. Danach habe ich endlich alle meine Aufgaben erledigt und kann mich vielleicht mit Judith treffen.

Als ich zu Hause ankomme, will ich mich eigentlich nochmal kurz entspannen, bevor ich zu Judith gehe. Doch dann kommt Mama ins Zimmer und bittet mich, mit meiner kleinen Schwester Ingeborg zum Arzt zu gehen. Sie beklagt sich schon seit zwei Wochen über Halsschmerzen und so gehen wir zu unserem Hals-, Nasen-, und Ohrenarzt Dr. Moses, der seine Praxis drei Häuser weiter hat. Während meine Schwester untersucht wird, gehe ich vor die Tür, um frische Luft zu schnappen, da ich den Geruch von Desinfektionsmittel nicht ertragen kann. Gott sei Dank ist Ingeborg schon fertig. Der Arzt hat ihr ein Medikament verschrieben und wir können wieder nach Hause gehen.

Endlich habe ich Zeit, mich mit Judith zu treffen. Was wir machen werden, weiß ich noch nicht. Kino wäre schön, im UfA-Palast läuft gerade der neue Dick & Doof an. Aber die Karte kostet 20 Pfennig, und es sind ja schwere Zeiten wegen der Weltwirtschaftskrise. Das geht nicht so oft, und  ich war erst neulich.

Vielleicht fahren wir mit den Rädern zum Schwimmen. Entweder im Müngersdorfer Freibad oder gleich am Rhein. Vielleicht setzen wir uns auch im Stadtgarten auf eine Bank und genießen die Sonne, oder wir spielen da Himmel und Hölle oder sowas. Ich packe vorsichtshalber mal meine Murmeln und ein Stück Kreide ein. Oder wir gehen einfach in der Stadt spazieren und schauen durch die Schaufenstern in die Geschäfte.”

von Mila und Inola (Q2) unter Mitwirkung von Clara (5a)